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Im Bann der Wasserfee

Im Bann der Wasserfee

Titel: Im Bann der Wasserfee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Morgan
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ihres Pflichtgefühls ertrinken?
    Sollte Dahut es wagen, das Pferd jetzt schon zu stehlen, sofern die Wächter in Panik davonrannten? Doch wer wusste, ob sie dies taten und ob es bis dahin nicht bereits zu spät war. Dahut dachte an ihren Vater, der jetzt sicher hilflos in seiner Kammer lag. Schwer wog ihr Gewissen. Niemals hätte sie ihm den Schlüssel entwenden dürfen. Jetzt war sie schuld am Tod so vieler – und an seinem Tod!
    Ihr Herz krampfte sich zusammen. Schweiß stand auf ihrer Stirn. Nichts hielt Dahut mehr beim Pferdestall. Die Menschen, die in der Nähe des Deiches wohnten, schrien und rannten durcheinander. Wo war nur Gradlon? Gewiss würde er ertrinken, so betrunken, wie er war. Sie musste unbedingt zu ihm gelangen. In seinem Zustand hätte sie ihn gar nicht erst allein lassen sollen.
    Dahut raffte ihre Röcke und rannte so schnell wie nie zuvor in ihrem Leben zum Palast ihres Vaters. Dies war gar nicht so einfach, da überall panikerfüllte Menschen und Tiere durcheinanderliefen und die Straßen blockierten. Dahut schob sich zwischen ihnen hindurch. Dabei zog sie ihre Kapuze noch tiefer ins Gesicht und senkte ihr Haupt, damit niemand sie erkennen möge. Zwar war dies ohnehin unwahrscheinlich, da die Leute derzeit wirklich andere Schwierigkeiten hatten, doch galt es, kein unnötiges Risiko einzugehen.
    An verdutzten Wächtern vorbei eilte sie durch den Haupteingang. Die Männer wirkten verwirrt und teilweise panisch. Auch die Diener liefen desorientiert im Palast umher. Offenbar wusste niemand so recht, was er tun sollte. Jeder schien auf die Befehle des Kommandanten oder des Königs zu warten. Derartige Passivität war Dahut zuwider. Sie eilte weiter, die langen Gänge des Palastes entlang.
    Gradlon kam ihr entgegen. Er wirkte müde. »Was ist geschehen?«
    »Der Deich ist zerstört«, sagte einer der Wächter.
    Gradlon schüttelte den Kopf. Er tastete über seine Brust. »Der Deichschlüssel ist weg!« Seine Stimme bebte. Fahrig strich er sich durchs Haar. »Verdammt, ich hätte auf das Hexenweib nicht hören und kein Tor einbauen sollen. Sie sagte, ohne das Tor würde sich das Meer die Stadt sofort wieder holen. Und was jetzt? Was jetzt? Wir werden alle ersaufen! Wir sind dem Untergang geweiht!« Sein Blick, der seine Angst verriet, fiel auf Dahut. »Du!« Mit zitternder Hand deutete er auf sie. »Du warst es! Du bist genauso verrückt wie deine Mutter. Kein Wunder, bei der Ähnlichkeit. Du hast den Schlüssel entwendet und den Deich aufgeschlossen. Uns alle hast du dem Untergang geweiht!«
    Dahuts Augen brannten vor den Tränen, die sie verzweifelt zurückhielt. »Vater, ich wollte nicht ...«
    »Doch hast du es getan!«
    »Ich …«
    Er schüttelte den Kopf. Mit einem Mal wirkte er unsäglich müde. »Diskussionen nützten nichts!«, sagte er und wandte sich an seine Wachmänner. »Versucht, das Tor zu schließen. Nehmt die Sandsäcke aus dem Lager, um die anderen Stadtteile vor der Flut zu schützen.«
    Ein Wächter rannte auf den König zu. Atemlos blieb er vor ihm stehen. »Jemand hat sie aufgeschlitzt!«
    »Was? Wer hat wen aufgeschlitzt? Nicht schon wieder!« Gradlon starrte ihn an. Seine Lippen bebten.
    Der Wächter sah betreten zu Boden. »Jemand hat sämtliche Sandsäcke zerstört.«
    »Die Sandsäcke.« Gradlons Blick fiel auf Dahut. Seine Augen wirkten dunkler. Wut und Hass waren darin zu lesen. »Was hast du dazu zu sagen?«, fragte er sie.
    Dahut schniefte und wischte sich die Tränen, die sie nicht länger zurückhalten konnte, aus dem Gesicht. »Ich habe die Säcke nicht angerührt! Wirklich, ich hab’s nicht getan!«
    Gradlons Augen verengten sich zu Schlitzen. »Aber du hast mir den Schlüssel gestohlen! Wer auch immer die Säcke zerstört hat, du bist mit ihm im Bunde. Geh mir aus dem Weg! Geh mir aus den Augen! Ach, verschwinde einfach!« Gradlons Gesicht war verzerrt. Abrupt wandte er sich von ihr ab und eilte aus dem Palast.
    Seine Wachen und Dahut folgten ihm hinaus. Dahut hatte Mühe, mit ihnen Schritt zu halten. Draußen roch es nach Meerwasser und Angst.
    Die Wächter und Gradlon schrien wild durcheinander. Die Flut hatte bereits den Palast erreicht und riss Menschen und Tiere mit sich. Es war entsetzlich, ihre verzerrten Gesichter zu sehen. Ihre Todesschreie würden Dahut bis in alle Ewigkeit verfolgen – sofern sie den heutigen Tag überleben würde. Es sah nicht danach aus.
    Vor dem Palast kam einer der Stallwächter ihnen entgegen. Erstaunt sah sie Gradlons weißes

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