Im Bann der Wasserfee
Ländern zuging, aber vor allem wollte sie lernen. Jede Art von Wissen nahm Dahut begierig auf. Dabei entwickelte sich eine Freundschaft zwischen ihnen, die stärker war als alle Gefühle, die Niamhs eigene Mutter ihr jemals entgegengebracht hatte.
Niamh wischte sich die schweißnassen Hände an ihrem Gewand ab, umfasste den magischen Dolch und hob ihn an. Es war derselbe, mit dem sie sich in jener Nacht am Meer in ihrer Verzweiflung selbst geschnitten hatte. Sich umzubringen hatte sie nicht zustande gebracht. Sie war eben eine Versagerin in jeder Hinsicht. Nur diese eine Gelegenheit blieb ihr noch, sich zu beweisen, um von ihrer Mutter endlich anerkannt zu werden.
Dahut bewegte sich unruhig im Schlaf, doch es schien kein unangenehmer Traum zu sein. Niamh erinnerte sich all der mit Dahut verbrachten Momente, wo sie gemeinsam gelacht und geweint hatten. Ihr Herz krampfte sich zusammen.
Würde Dahut wirklich dem Wahnsinn anheimfallen? Die alte Seherin der Königin hatte mit einem magischen Gegenstand in die Zukunft geblickt und ebendies herausgefunden. Doch würde Dahut wirklich so gefährlich werden? Konnte man ihr nicht noch zumindest ein paar Jahre gewähren? Sie war so jung. Andererseits hatte sich die alte Seherin bisher niemals geirrt. Dahuts Wahnsinn würde bereits in wenigen Tagen eintreten!
Niamh dachte an Dylan und die Enttäuschung, die sie ihm bereiten würde. Eine Träne stahl sich in ihren Augenwinkel. Es gab keine Zukunft für Dylan und sie, ebenso wenig, wie es eine für Dahut gab. Niamh war der Verzweiflung nahe. Warum waren das Leben und das Schicksal so grausam, dass sie ihre Cousine töten musste?
Ihr ganzer Leib zitterte. Ihre Augen brannten. Sie wollte es nicht tun, doch sie musste es. Möge Dahut ihr verzeihen. Niamhs Arm war eiskalt. Mit jedem Stück, das sie die Dolchspitze näher an zu Dahuts Herz brachte, war es ihr, als durchbohre sie ihr eigenes damit. Es zog und brannte in ihrer Brust. Irgendetwas in ihr zerbrach.
Sie musste es tun. Weder konnte sie hierbleiben noch unverrichteter Dinge zurückkehren nach Gwragedd. Die Schergen der Königin waren überall. Sie würden sie jagen und töten. Es gab kein Erbarmen. Schwäche wurde nicht geduldet.
Doch war es wirklich Schwäche?
Niamh lauschte in sich hinein und verspürte Liebe. Sie liebte Dahut wie eine Schwester. Wenn sie diese tötete, könnte sie sich ebenso gleich selbst den Dolch ins Herz rammen, gleichgültig, ob Dahut wahnsinnig werden würde oder die Seherin sich irrte. Sollte doch jemand anders diese Tat ausführen. Sie konnte es einfach nicht. Tränen rannen über ihr Gesicht und verschleierten ihr die Sicht.
Niamh würde sich der Königin und ihrer Strafe stellen. Sie entkam ihr ohnehin nicht, denn ihr Leben war an sie gebunden. Erst nach Deirdres Tod war sie frei, doch die Königin war unsterblich.
Niamh vernahm Schritte draußen im Flur. Waren das die Wachen, die regelmäßige Patrouillen durch den Palast durchführten? Ihre Arme zitterten noch stärker durch die Anstrengung und ihre inneren Kämpfe. Der Dolch entglitt ihren schweißfeuchten Händen und fiel klirrend zu Boden. Dahut schrak auf. Niamh duckte sich, damit sie nicht erkannt wurde und den Dolch suchen konnte.
»Wer ist da?« Dahuts Stimme klang schlaftrunken.
Verzweifelt suchte Niamh auf dem Boden nach der Waffe.
»Ist etwas passiert, Prinzessin?«, fragte einer der Leibwächter von der anderen Seite der Vordertür. Zwischen Dahuts Schlafraum und dem Flur befand sich ein kleiner Empfangsraum mit ein paar Stühlen, Hockern und einem Tisch.
»Ich weiß es nicht«, sagte Dahut und fluchte sogleich leise. »Mein Dolch ist weg!«
Niamh vernahm Angst in Dahuts Stimme.
»Wir kommen rein und durchsuchen den Raum, Prinzessin.«
Niamh hörte, wie jemand die Tür aufbrach. Schritte erklangen. Mehrere Wächter liefen durch den Empfangsraum.
Sie hechtete geduckt zur offen stehenden Balkontür und schwang sich über die Brüstung. Ein Sprung aus dieser Höhe machte ihr wenig aus. Sie rannte hinter einen der Büsche. Dort riss sie sich die Kleider vom Leib, während oben auf dem Balkon ein Wachmann die Anweisung gab, auch den Garten zu durchsuchen.
Niamh hockte sich nackt, wie sie war, hin. Ihr Leib begann nicht nur vor Angst zu zittern, als sie die Schritte der rasch näherkommenden Wächter unweit von sich vernahm. Hatte sie jemand gesehen?
Im Augenblick war sie schutzlos. Federn sprossen aus ihrer Haut. Ihre Nase wuchs zu einem Schnabel, während ihr gesamter
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