Im Bann der Wasserfee
Leib zusammenschrumpfte und seine Form änderte. Ihre Füße wurden zu Klauen. Die Arme waren längst zu Schwingen geworden.
Wenig später erhob sie sich in der Gestalt eines Falken und schwebte über die Köpfe der Wachmänner hinweg. Sie segelte über die Stadtmauern hinaus in Richtung des Meeres, doch ihr blutendes Herz blieb zurück in Ys.
Dahut erwachte aus einem herrlichen Traum. In einem Moment wähnte sie sich noch in Ragnars Armen, im nächsten lag sie orientierungslos in ihrem Bett. Allein.
Irgendein Geräusch hatte sie geweckt. Jemand lauerte dort in der Dunkelheit.
Dahut tastete nach ihrem Dolch. »Wer ist da?«, fragte sie leise.
Keine Antwort.
Ihr Dolch musste aufgrund ihrer heftigen Bewegungen während des Traumes von dem schmalen Brett heruntergefallen sein.
»Ist etwas passiert, Prinzessin?«, fragte der Leibwächter draußen vor der Tür.
»Ich weiß es nicht.«
Panik ergriff sie, als sie den Dolch auch auf der Matratze nicht fand. Ihre Hand bebte. Angstschweiß brach ihr aus. Sie fluchte leise. Sie dachte an die schwere Tonvase auf dem Beistelltisch, doch sie war zu weit weg.
»Wir kommen rein und durchsuchen den Raum«, erklang die Stimme des Leibwächters erneut. Gewiss hatte er bereits die patrouillierenden Wachmänner aufgehalten und sie warteten vor der Tür. Auch wenn sie dieses Eindringen in ihre Privatsphäre nicht mochte, verspürte sie Erleichterung.
Jemand huschte geduckt zur Balkontür hinaus, bevor die Wächter ihren Raum stürmten. Nie wieder würde sie bei offener Balkontür schlafen!
Dahut hielt das Betttuch vor sich, da sie in heißen Sommernächten nackt zu schlafen pflegte. Sogar der Kommandant der Wache war gekommen. Wie schnell dieser zur Stelle sein konnte, überraschte sie.
»Verzeiht das Eindringen in Euer privates Reich«, sagte er und wandte sich an seine Männer.
»Durchsucht jeden Winkel!« Der Kommandant betrat mit einer Öllampe den Balkon. Er leuchtete hinaus in die Dunkelheit. »Ihr solltet nicht bei offener Balkontür schlafen.«
Er ging zurück in den Raum und sah Dahut an. »Habt Ihr etwas gesehen, Prinzessin?«
Dahut schüttelte den Kopf. »Nichts als einen Schatten. Die Person ist über den Balkon geflohen.«
Der Kommandant schüttelte den Kopf. »Unwahrscheinlich. So schnell klettert keiner am Wein herunter. Sicherheitshalber werden wir die Pflanzen entfernen lassen.«
»Unter Eurem Bett liegt ein Dolch«, sagte einer der Wachmänner und bückte sich.
Jemand hatte sie ermorden wollen. Ihr lief es kalt den Rücken herunter bei dem Gedanken. Wer auch immer bei ihr gewesen war, hatte die Gelegenheit gehabt, sie zu töten, und es nicht getan. Oder war einfach die Wache dazwischengekommen und der Eindringling vor Furcht geflohen?
»Wer sollte mir etwas tun wollen?«, fragte sie mehr sich selbst, als den Kommandanten der Wache.
»Neider gibt es immer, gerade in Eurer Position. Zumal sich König Gradlon in seinen früheren Jahren nicht immer Freunde gemacht hat.«
Dahut runzelte die Stirn. Davon hatte ihr noch niemand etwas gesagt.
»Er hat Feinde?«
Der Kommandant nickte und kratzte sich an seinem ergrauten Haupt. »So einige.«
»Wen denn?«
»Das sollte Euch Euer Vater selbst sagen, denn mir steht das nicht zu. Ihr solltet jedoch auf Euch achten und Eurem Leibwächter nicht immer entwischen, wie auch immer Ihr dies anstellt. Ich gehe ja davon aus, dass auch Ihr die Weinranken genutzt habt.«
Er winkte seine Männer herbei. »Ihr drei da. Postiert Euch für den Rest der Nacht unter dem Balkon der Prinzessin. Morgen wird der Wein entfernt. Müsste mit dem Teufel zugehen, wenn dann noch einer hier hochkäme.«
Der Kommandant nahm von seinem jüngeren Gehilfen die Waffe entgegen, die sie unter ihrem Bett gefunden hatten, und betrachtete sie neugierig. »Irgendwo habe ich so einen Stein schon einmal gesehen.«
»Wo?«, fragte Dahut, die ebenfalls einen Blick auf den reich verzierten, edelsteinbesetzten Dolch warf. Der Stein kam ihr entfernt bekannt vor, doch sie wusste nicht, so sie ihn schon einmal erblickt hatte.
»Eingearbeitet in den Deichschlüssel unseres Königs.«
»Wäre es möglich, dass der Dolch aus dem Besitz meines Vaters stammt und womöglich gestohlen wurde?« So reich verziert, wie der Dolch war, wirkte er mehr wie das Eigentum eines Königs, denn eines gedungenen Mörders.
Der Kommandant hob die Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich werde ihn fragen. So weit ich weiß, hat er den Stein für den Deichschlüssel von Eurer
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