Im Bann der Wasserfee
Niamh in früheren Zeiten ihr Gemach gehabt. Dies war der Ort ihrer Kindheit gewesen, ihrer Träume und Sehnsüchte, die alle längst entschwunden waren, einer tristen Gegenwart gewichen. Seitdem hatte sich kaum etwas verändert.
In der Mitte des Platzes befand sich ein Springbrunnen mit Kaskaden, auf denen Wasserlilien wuchsen. Die silbergrauen Palastkatzen tummelten sich darum. Im Gegensatz zu denen der Menschen war sie alles andere als wasserscheu. Im Gegenteil genossen sie es, immer wieder durch die Wasserfontänen zu springen. Zwischen ihren Krallen wuchsen Schwimmhäute, auch besaßen sie, verborgen unter ihrem robbenähnlichem Fell, zusätzlich zu ihren Lungen, Kiemen.
Die Kühle des Palastes beschwor Kindheitserinnerungen herauf. Nichts hier hatte sich verändert. Die Vorhalle ähnelte einem verbreiterten Säulengang. Dienerinnen huschten tuschelnd an ihnen vorbei. Durch zahlreiche bewachte Gänge lief Niamh mit den Wächtern, bis sie zum Thronsaal gelangten, dessen Wände und Säulen mit Muscheln und Meeresschnecken verziert waren. Versteinerte Ammoniten zierten die Wand hinter dem Thron. Diese Tiere konnte man, im Gegensatz zu der Menschenwelt, wo sie schon seit Jahrmillionen ausgestorben waren, in vielen der überaus zahlreichen Gewässer von Gwragedd Annwn lebend antreffen.
Merenwen, die rothaarige Sruthbárd , die Fluss-Bardin, saß zu Füßen der dunklen Königin. Sie verstummte mitten im Lied und starrte Niamh aus großen meeresgrünen Augen an, bevor der von ihr gewohnte gleichmütige Ausdruck auf ihr Gesicht zurückkehrte. Gewiss hatten sich ihre Schmach und ihr Ungehorsam bereits bis in die letzten Ecken des Reiches herumgesprochen.
»Macht weiter«, sagte die Königin mit ihrer melodischen Stimme, woraufhin Merenwen erneut auf ihrer Harfe aus Hirschgeweih spielte und das Lied weitersang, das sie unterbrochen hatte. Die Königin saß auf einem Thron aus Kristall, der besetzt war mit Perlmutt, Muschelschalen, Kreiselschneckenhäusern und einer Varietät des Berylls in der lichtblauen Farbe des Meeres.
Deirdre war von einer unirdischen Schönheit, die jeden Sterblichen in den Wahnsinn zu treiben vermochte. Um ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen wallte eine Flut schwarzen Haares, das dunkelblau schimmerte im Licht der Opiumkerzen. Ihre Pupillen in den leicht schrägstehenden Augen waren ein wenig dunkler als Beryll. Ihre Lippen waren voll und von sanftem Schwung. Unter dem Kleid aus perlmuttschimmernder weißer Seide zeichneten sich die Formen ihres Leibes ab, den Niamh nur als perfekt bezeichnen konnte.
Nur eines zerstörte dieses Bild von Eleganz und vollkommener Anmut: Aus Deirdres langem Haar strömten schwarze Wasserschlangen hinweg in alle Richtungen. Sie waren die Schwestern derer, die als Schatten durch die Gassen von Ys schlichen.
»Du hast versagt.« Die Stimme der Königin klang leicht rauchig. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Gefühlsregung. »Du hast mich enttäuscht. Ich dachte, du hättest die Fähigkeiten einer Herrscherin in dir. Als diese musst du auch tun können, was dir schwer erscheint.«
Niamh schüttelte den Kopf. »Ich konnte es nicht. Dahut ist keine schlechte Person.«
»Noch nicht, aber sie ist auf dem Weg, eine zu werden und das schon sehr bald. Leider hast du damals noch nicht gelebt und gesehen, was aus Malgven geworden ist und welches Unglück sie über sich selbst, andere und uns gebracht hat. Dahut trägt ihr verdorbenes Erbe in sich. Sie stellt eine Gefahr für unser Reich und das der Menschen dar. Es ist an uns, das Volk von Gwragedd zu beschützen.«
Dessen war sich Niamh mittlerweile nicht mehr so sicher. Sie hatte kein einziges Anzeichen für Dahuts nahenden Wahnsinn erkennen können.
Sie sank vor ihrer Königin auf die Knie. »Lasst Dahut am Leben, bitte. All die Zeit, in der ich mit Dahut zusammen war, fiel mir keine bösartige Eigenschaft an ihr auf. Lasst uns noch etwas abwarten. Sobald sich die Zeichen des Wahnsinns zeigen, werde ich sie vernichten.«
»Es steht nicht an dir, Forderungen zu stellen. Du hast schon einmal versagt. Zudem weißt du nicht, wovon du sprichst, denn wenn der Wahnsinn ausbricht, werden sehr schnell viele Menschen und wahrscheinlich auch Feen sterben. Möglich, dass sie danach einige Stabilität erlangt, um über ihren Zustand hinwegzutäuschen, doch kurz nach dem Ausbruch wird es verheerend sein. Ich weiß nicht, ob du diese Verantwortung tragen kannst oder ihr überhaupt bewusst bist.«
»Wir könnten sie solange
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