Im Bann der Wasserfee
gefangen halten, und wenn sich kein Wahnsinn zeigt, wieder freilassen.« Niamh schluchzte auf, denn sie wollte nicht, dass Dahut starb.
»Nein, das können wir eben nicht. Sie darf nichts von uns erfahren, denn sie ist zur Hälfte ein Mensch. Dieses menschliche Erbe macht ihre Kräfte unberechenbar. Das Risiko ist einfach zu groß. Lieber eine stirbt zum Wohl des ganzen Volkes, als dass ich das ganze Volk gefährde, um einer Einzelnen willen, die ohnehin verloren ist.«Deirdre vollführte eine wegwerfende Geste. »Ergreift sie und lehrt sie Gehorsam.« Sie wandte sich an Niamh. »Ich habe zu lange Geduld mit dir bewiesen. Viel zu lange. Doch meine Geduld ist endgültig erschöpft. Von dir lasse ich mein Volk nicht in Gefahr bringen!«
»Nein!« Niamh wehrte sich heftig, hatte gegen die Wächter jedoch keine Chance. Diese schleppten sie aus dem Palast bis zum Stadtrand, wo sich Wildnis und Zivilisation begegneten. Hier war der schwarze Turm, vor dem sieben Wächter standen. Unter dem Gebäude befand sich einer der Zugänge in ein unterirdisches Labyrinth.
Niamh wurde hineingebracht. Zahlreiche gewundene Treppen hinab und durch viele Gänge liefen sie, bis sie zur Kammer der ewigen Schwärze kamen. Hier, wo noch niemals Sonnenlicht hingekommen war, gab es an jener der Tür gegenüberliegenden Seite ein Geländer als einzige Abgrenzung zum endlosen Nichts. Wer dort hinabfiel, stürzte ins Bodenlose für den Rest seiner Existenz. In die Mitte dieses Raumes brachten sie Niamh und verschlossen die schwere eisenbeschlagene Türe hinter ihr. Dort gab es nur ein Bett, geschnitzt aus den Zähnen des Mondwolfes, eines verlorenen Bruders des Fenrir. Niemand würde Niamhs Schreie hören, als die ewige Finsternis.
Zwei Abende später lief Ragnar durch eine Allee, da vernahm er Schritte hinter sich.
»Hat Euch gefallen, was Ihr bislang hier gesehen habt?«, erklang eine Frauenstimme.
Ragnar wandte sich um. Mittlerweile wusste er, wie diese Frau hieß, da Dahut es ihm gesagt hatte. Offenbar kannten sie sich, auch wenn er nicht wusste, in welcher Beziehung sie zueinander standen.
Aouregwenn trat lächelnd neben ihn unter dem Blätterdach. Die Bäume standen so dicht beieinander, dass ihre Äste sich berührten und einen schattigen Pfad bildeten.
»Es gibt in der Tat schöne Orte in Ys«, sagte er.
Aouregwenn war jetzt so dicht bei ihm, dass er ihren Atem spürte. »Nicht diese Orte meinte ich.« Sie schob ihre Stola ein wenig zur Seite, sodass ihre Brüste deutlicher zur Geltung kamen. »Was habt Ihr mit meinem Kleid gemacht?«
»Es für einen guten Zweck eingesetzt.«
»Ich könnte Euch ein neues geben, wenn Ihr es mir auszieht.« Sie berührte seinen Arm.
»Ich habe wirklich nur das Kleid gebraucht.«
Er fühlte sich erbärmlich, denn es war alles schief gegangen. Weder hatte er Gradlon töten noch seine Tochter entführen können. Doch er gab nicht auf. Nur durch Gradlons Tod konnte er diese Gefahr von seinen Landsleuten abwenden und endlich heimkehren.
Aouregwenn blickte ihn unter halbgesenkten Lidern an. »Es ist ungerecht, dass Ihr mich nackt gesehen habt, ich Euch jedoch nicht.«
Ragnar hob eine Augenbraue. »Tja, das Leben ist eben ungerecht. Wenigstens habe ich Euch gut bezahlt.«
»Soll ich Euch dafür bezahlen, dass Ihr Euch für mich auszieht?« Ihre Fingerspitzen strichen über seinen Unterarm. Er zog ihn zurück.
Ragnar starrte zu den Baumkronen empor. So langsam wurde die Sache peinlich. »Aouregwenn, auch wenn es irrtümlicherweise diesen Anschein erweckt haben sollte, ich habe keinerlei Absichten Euch gegenüber.«
Sie starrte ihn an, als hätte er sie geschlagen. »Seid Ihr sicher?«
Er nickte.
»Es ist wegen ihr , nicht wahr? Ihr liebt Dahut!«
Er tat einen Schritt vor ihr zurück. »Ich bin nicht auf der Suche nach einer Frau. In meinem Leben ist kein Platz dafür.« Zumindest nicht jetzt.
Aouregwenn trat näher. »Ihr wisst nicht, was Ihr verpasst.« Sie drängte sich an ihn und küsste ihn.
Ragnar schob sie sanft, aber bestimmt von sich. »Seid gewiss, dass ich weiß, was ich tue.«
Aouregwenn starrte ihn wütend an. »Das glaube ich nicht! Du willst sie doch nur wegen ihres Standes und ihres Reichtums!«
»Das ist nicht wahr.«
»Ich wollte Jacut heiraten, doch sie hat ihn mir weggenommen. Ist ja kein Wunder, dass sie besser aussieht als ich. Hätte ich so viele Diener, die sich nur um meine Kleider und meine Frisur kümmern, wäre ich die Schönere.«
»Es gibt Wichtigeres als
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