Im Bann der Wüste
Hunderten von Malazanern, die diese Armee umgeben. Ich kann nichts tun. Dieses Wissen war wie ein Flüstern des Wahnsinns. Der Assassine fürchtete nur eines, doch das jagte ihm wirklich Entsetzen ein: Hilflosigkeit. Jedoch nicht etwa die Hilflosigkeit, ein Gefangener zu sein oder gefoltert zu werden – beides war ihm schon geschehen, und er wusste sehr wohl, dass die Folter jeden Menschen brechen konnte –, nein, das war es nicht. Aber das hier … Kalam fürchtete die Bedeutungslosigkeit, er fürchtete die Unfähigkeit, irgendetwas auszurichten, der Welt außerhalb seiner selbst etwas aufzuzwingen.
Dieses Wissen war schuld daran, dass die Szene vor ihm so tief in seine Seele einsickerte. Ich kann nichts tun. Er starrte über die zwischen ihnen liegenden fünfzig Schritt hinweg in die blicklosen, leeren Augenhöhlen des Jungen, und mit jedem Atemzug wurde der Abstand zwischen ihnen geringer, bis er sich nahe genug fühlte, dem Gekreuzigten die Lippen auf die sonnenverbrannte Stirn zu drücken. Lügen zu flüstern – dein Tod wird nicht vergessen werden, die Wahrheit über dein kostbares Leben, das du noch immer nicht aufgeben willst, weil es alles ist, was du besitzt. Du bist nicht allein, mein Junge – Lügen, nichts als Lügen. Der Junge war allein. Allein mit seinem sich windenden, zu Ende gehenden Leben. Und wenn aus dem Körper ein Leichnam werden, wenn er verfaulen und zu Boden fallen würde, um sich mit all den anderen zu vereinigen, die einen Ort umgaben, an dem einmal eine Armee gelagert hatte, dann würde er vergessen werden. Ein weiteres gesichtsloses Opfer. Ein einziges von einer Gesamtzahl, die jedem Versuch, sie zu verstehen, spottete.
Das Imperium würde Rache nehmen – wenn es dazu in der Lage war –, und die Zahl der Opfer würde noch größer werden. Die imperiale Drohung war immer die gleiche: Die Vernichtung, die ihr über uns und die unseren bringt, werden wir euch zehnfach zurückzahlen. Wenn es Kalam gelang, Laseen zu töten, dann würde es ihm vielleicht auch gelingen, jemanden auf den Thron zu setzen, der genug Rückgrat besaß, regieren zu können, ohne immer neue Krisen zu schaffen. Der Assassine und der Schnelle Ben hatten auch bereits jemand ganz Bestimmten im Sinn. Wenn alles läuft wie geplant. Für diese Menschen hier war es jedoch zu spät.
Kalam stieß langsam den Atem aus; erst jetzt bemerkte er, dass er auf einem Ameisenhaufen lag, dessen Bewohner ihm unmissverständlich zu verstehen gaben, dass er schleunigst verschwinden sollte. Ich liege mit dem Gewicht eines Gottes auf ihrer Welt, und diese Ameisen mögen das nicht. Wir ähneln uns weit mehr, als die meisten glauben würden.
Vorsichtig schob sich Kalam durch das Gras zurück. Das ist schließlich nicht die erste schreckliche Szene, die ich zu Gesicht bekomme. Ein Soldat lernt, jede Art von Rüstung zu tragen, und so lange er dabei bleibt, funktioniert das auch. Bei den Göttern, ich glaube nicht, dass ich eine längere Zeit des Friedens überstehen und dabei geistig gesund bleiben könnte!
Während dieser Gedanke, der ihn erschauern ließ, wie Schwäche in seine Glieder sickerte, erreichte Kalam den rückwärtigen Hang des Hügels, der außerhalb des Blickfelds der Opfer lag. Er musterte prüfend das Gelände, suchte nach irgendeinem Zeichen, das darauf hindeutete, dass Apt in der Nähe war, doch der Dämon schien verschwunden zu sein. Nach einem kurzen Augenblick stemmte er sich in die Hocke und trottete zurück zu dem Espenhain, in dem die anderen warteten.
Minala erhob sich aus ihrer Deckung, die Armbrust in der Hand, als er sich dem niedrigen Buschwerk näherte, das die silberblättrigen Bäume umgab.
Kalam schüttelte den Kopf. Schweigend schlüpften sie zwischen die dünnen Baumstämme und gesellten sich zu den anderen.
Keneb war unter einer neuerlichen Fieberattacke zusammengebrochen. Selv, seine Frau, kauerte neben ihm. Ihre Lippen waren zu schmalen Strichen zusammengepresst, und ihre Furcht schien kurz davor zu sein, sich in Panik zu verwandeln, während sie Keneb ein feuchtes Tuch auf die Stirn presste und leise und beruhigend vor sich hin murmelte, um ihn dazu zu bringen, mit dem Zappeln und Zucken aufzuhören. Die beiden Jungen, Vaneb und Kesen, standen ganz in der Nähe und kümmerten sich beflissen um ihre Pferde.
»Wie schlimm sieht es aus?«, fragte Minala und lockerte vorsichtig die Sehne der Armbrust.
Kalam war noch einen Augenblick damit beschäftigt, sich die letzten Ameisen von Körper
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