Im Bann der Wüste
gekommen«, sagte Lull.
Etwas im Tonfall seiner Stimme ließ Duiker erschauern. Er überlegte kurz, ob er weiterbohren sollte, ließ es dann jedoch sein. Es lag an Coltaine, ihm die Einzelheiten mitzuteilen. Der Mann führt eine Armee an, die sich weigert zu sterben. Wir haben seit dreißig Stunden keinen einzigen Flüchtling mehr durch unsere Feinde verloren. Fünftausend Soldaten … die jedem Gott ins Gesicht spucken …
»Was wisst Ihr von den Stämmen, die so nahe bei der Stadt leben?«, fragte Lull, nachdem sie ein Weilchen weitergegangen waren.
»Sie mögen Aren nicht besonders«, antwortete Duiker.
»Ist es ihnen schlechter ergangen, seit das Imperium in Aren herrscht?«
Der Historiker grunzte, als er erkannte, worauf die Frage des Hauptmanns abzielte. »Nein, besser. Das malazanische Imperium versteht die Probleme der Grenzgebiete, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen, die im Hinterland leben. Schließlich gibt es überall im Imperium immer noch große Gebiete, in denen Nomaden leben, und der Tribut, der zu entrichten ist, ist nie besonders hoch. Mehr noch, die Bezahlung für die Durchreise durch Stammesgebiete ist immer großzügig und wird schnell erledigt. Das müsste Coltaine eigentlich selbst verdammt gut wissen, Hauptmann.«
»Ich gehe davon aus, dass er das tut – ich bin derjenige, der überzeugt werden muss.«
Duiker warf einen Blick zu den Flüchtlingen zu ihrer Linken hinüber; er musterte die Reihen um Reihen von Gesichtern, jungen und alten, mit ihrer allgegenwärtigen Staubkruste. Seine Gedanken trieben über den Rand der Erschöpfung hinaus, und Duiker spürte, dass er an einer Kante entlangtorkelte, hinter der – wie er jetzt klar erkennen konnte – Coltaines verzweifeltes Glücksspiel wartete.
Die Faust ist zu einem Entschluss gekommen.
Und die Offiziere sträuben sich, schrecken voller Unsicherheit davor zurück. Ist Coltaine angesichts der Hoffnungslosigkeit zusammengebrochen? Oder sieht er nur allzu klar?
Fünftausend Soldaten …
»Was soll ich Euch sagen, Lull?«, fragte Duiker.
»Dass wir keine Wahl mehr haben.«
»Diese Frage könnt Ihr Euch selbst beantworten.«
»Das wage ich nicht.« Der Hauptmann zog eine Grimasse; sein narbenübersätes Gesicht verzerrte sich, sein eines Auge versank in einem Nest aus kleinen Fältchen. »Es sind die Kinder, wie Ihr seht. Nur sie sind ihnen noch geblieben – sie sind alles, was ihnen noch geblieben ist. Duiker – «
Das abrupte Nicken des Historikers zeigte, dass es nicht notwendig war, noch mehr zu sagen; diese Art von Barmherzigkeit konnte Duiker rasch gewähren. Er hatte die Gesichter gesehen, war dicht an sie herangegangen, um sie genau zu studieren; damals hatte er gedacht, er würde die Jugend suchen, die dort eigentlich sein müsste, die Offenheit und Unschuld – doch das war es nicht gewesen, was er gesucht hatte, und er hatte es auch nicht gefunden. Lull hatte ihn zu dem Wort hingeführt. Schlicht, unveränderlich und bis jetzt immer noch sakrosankt.
Fünftausend Soldaten werden dafür ihr Leben opfern. Aber ist es eine Art romantischer Narretei – sehne ich mich nach der Anerkennung dieser einfachen Soldaten? Ist ein Soldat überhaupt wirklich einfach – einfach in dem Sinne, dass er die Welt und seinen Platz in ihr auf nüchterne, pragmatische Weise sieht? Und schließt eine solche Sichtweise das tiefe Bewusstsein aus, von dem ich mittlerweile glaube, dass diese mitgenommenen, fußwunden Männer und Frauen es besitzen?
Duiker sah die namenlose Seesoldatin an, und er begegnete dem Blick ihrer bemerkenswerten Augen, als ob sie nur darauf gewartet hätte, dass er sich mit all seinen Gedanken, seinen Zweifeln und seiner Furcht zu ihr umdrehen, nach ihr suchen würde.
Sie zuckte die Schultern. »Sind wir so blind, dass wir es nicht sehen können, Duiker? Wir verteidigen ihre Würde. So einfach ist das. Und es gibt uns Kraft. Hast du das hören wollen?«
Diese Kritik kann ich hinnehmen. Man sollte eben niemals einen Soldaten oder eine Soldatin unterschätzen.
Sanimon war ein wuchtiger Tel, ein flacher Hügel von dreißig Armspannen Höhe und einer halben Meile Durchmesser; die Kuppe war windzerzaust und kahl. In der Sanith-Odhan direkt südlich des Tel, wo sich die Kette der Hunde jetzt entlangquälte, erinnerten zwei alte erhöhte Straßen an die Zeit, da der Tel eine blühende Stadt gewesen war. Beide Straßen verliefen schnurgerade auf festen Fundamenten aus bearbeiteten Felsblöcken. Die eine
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