Im Bann der Wüste
groß – das Licht reicht nicht bis zum hinteren Ende.«
»Warte mal. Skulpturen hast du gesagt? Was für Skulpturen?«
»Menschen. Sie sehen aus, als würden sie herumliegen. Zuerst habe ich gedacht, sie wären echt.«
»Und warum glaubst du das jetzt nicht mehr?«
»Nun …« Felisin kroch ein Stück vorwärts. Die vorderste Skulptur war ein Dutzend Schritte entfernt, eine nackte Frau im fortgeschrittenen Alter; sie lag auf der Seite, als wäre sie tot oder schliefe. Der Stein, aus dem sie gemeißelt worden war, war von einem stumpfen Weiß, und mit Moos gesprenkelt. Jede Falte ihres verwelkten Körpers war kunstvoll abgebildet, keine Einzelheit weggelassen worden. Felisin schaute hinunter in das friedliche, gealterte Gesicht. Lady Gaesen – diese Frau könnte ihre Schwester sein. Sie streckte eine Hand aus.
»Denk daran, nichts anfassen«, sagte Kulp. »Ich sehe immer noch Sterne, aber mir sträuben sich die Haare – in diesem Raum riecht es gewaltig nach Zauberei.«
Felisin zog die Hand zurück. »Es sind nur Statuen …«
»Auf Podesten?«
»Na ja, äh, nein; sie stehen einfach auf dem Fußboden.«
Das Licht wurde plötzlich heller, leuchtete jetzt das ganze Zimmer aus. Felisin drehte sich um. Kulp war wieder auf den Beinen; er lehnte am zerborstenen Türrahmen. Der Magier blinzelte kurzsichtig, während er versuchte, die Szene in sich aufzunehmen. »Skulpturen, Mädchen?«, sagte er grollend. »Aber nicht doch. Hier ist ein Gewirr durchgefetzt.«
»Es gibt Tore, die sollten niemals geöffnet werden«, sagte Heboric und schritt vergnügt an dem Magier vorbei. Er kam zielsicher an Felisins Seite, wo er stehen blieb, den Kopf zur Seite legte und lächelte. » Ihre Tochter hat den Pfad der Wechselgänger gewählt; das war eine schlimme Reise. Das war nicht weiter ungewöhnlich, der verdrehte Weg war eine beliebte Alternative zum Aufsteigen. Sie haben behauptet, er wäre … irdischer. Und älter. Und das, was alt war, stand in den letzten Tagen des Ersten Imperiums in hohem Ansehen.« Der Ex-Priester machte eine Pause; plötzlich zog er ein bekümmertes Gesicht. »Es ist verständlich, dass die Alten jener Tage versucht haben, den Pfad, den ihre Kinder gewählt hatten, leichter zu machen. Dass sie versucht haben, eine neue Version des alten, risikobeladenen Weges zu schaffen – denn der war zusammengebrochen, geschwächt, war von einem Krebs befallen. Zu viele junge Leute aus dem Imperium gingen verloren – gar nicht zu reden von den Kriegen im Westen – «
Kulp legte Heboric eine Hand auf die Schulter. Es war, als hätte die Berührung ein Ventil geschlossen. Der ehemalige Priester hob eine seiner Geisterhände zu seinem Gesicht, seufzte. »Es ist viel zu leicht, sich zu verlieren …«
»Wir brauchen Wasser«, sagte der Magier. »Hat sie auch Erinnerungen, die uns in dieser Frage weiterhelfen?«
»Dies war eine Stadt der Quellen, Springbrunnen, Bäder und Kanäle.«
»Die jetzt wahrscheinlich alle mit Sand gefüllt sind«, warf Felisin ein.
»Vielleicht auch nicht«, sagte Kulp, während er sich mit blutunterlaufenen Augen umschaute. Die gebrochene Nase sah ziemlich schlimm aus; die Schwellung hatte die viel zu trockene Haut auf beiden Seiten aufplatzen lassen. »Dieser Raum hier ist erst kürzlich geleert worden. Spürst du nicht, wie die Luft sich noch bewegt?«
Felisin starrte die Frau zu ihren Füßen an. »Dann hat sie einmal richtig gelebt, war Fleisch und Blut.«
»Ja; das gilt für alle, die hier sind.«
»Alchemistische Mittel, die das Altern verlangsamen«, sagte Heboric. »Eine Lebenszeit von sechs, sieben Jahrhunderten für jeden Bürger, jede Bürgerin. Das Ritual hat sie getötet, doch die Alchemie ist wirksam geblieben – «
»Dann hat Wasser die Stadt überflutet«, sagte Kulp. »Überaus mineralhaltiges Wasser.«
»Das nicht nur Knochen in Stein verwandelt hat, sondern auch Fleisch und Blut.« Heboric zuckte die Schultern. »Die Flut hatte etwas mit Ereignissen zu tun, die weit weg von hier stattgefunden haben. Die unsterblichen Wächter waren schon da gewesen und bereits wieder weg.«
»Was für unsterbliche Wächter, alter Mann?«
»Es könnte hier noch eine Quelle geben«, sagte der Priester. »Ganz in der Nähe.«
»Dann führe uns, blinder Mann«, forderte Felisin ihn auf.
»Ich habe noch ein paar Fragen«, sagte Kulp.
Heboric lächelte. »Später. Wenn wir jetzt ein Stück gehen, wird das viel erklären.«
Die versteinerten Menschen in dem Raum waren
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