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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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ihren Namen nicht, und er wollte sie auch nicht fragen. Die Furcht vor dem, was kommen mochte, hatte sich wie eine Infektion in ihm ausgebreitet. Seine Gedanken huschten fiebrig hierhin und dorthin, wirbelten um ein irrationales Entsetzen herum, das … das sich auf Wissen gründete. Auf den Einzelheiten, die einen daran erinnern, was Menschlichkeit bedeutet. Namen und Gesichter sind wie Zwillingsschlangen, die mit dem schmerzhaftesten aller Bisse drohen. Ich werde die Liste der Gefallenen nicht weiterführen – nie mehr –, denn ich kann jetzt erkennen, dass der unbekannte Soldat ein Geschenk ist. Der Soldat, der einen Namen hat – und jetzt tot ist, geschmolzenes Wachs –, verlangt nach einer Antwort von den Lebenden … einer Antwort, die niemand geben kann. Namen sind kein Trost, sie sind ein Ruf, der nach einer Antwort auf das verlangt, worauf man nicht antworten kann. Warum ist sie gestorben? Warum nicht er? Warum bleiben die Überlebenden namenlos – als wären sie verflucht –, während die Toten geehrt werden? Warum klammern wir uns an das, was wir verloren haben, und ignorieren das, was wir noch immer besitzen?
    Nenn keinen der Gefallenen mit Namen, denn sie sind an unserer Seite gestanden und werden dort in jedem Augenblick unseres Lebens weiterhin stehen. Lass meinen Tod nicht ruhmvoll sein, lass mich vergessen und als Unbekannten sterben. Lass nicht zu, dass man sagt, dass ich einer von den Toten war, um die Lebenden anzuklagen.
    Der P’atha zerschnitt einen ausgetrockneten See, der in westöstlicher Richtung zweitausend Schritt maß, in nordsüdlicher mehr als viertausend. Als die Vorhut die Böschung an der Ostseite erreichte, wurde Duiker ein umfassender Rundblick auf das Gelände gewährt, das schon bald zum Schlachtfeld werden würde.
    Kamist Reloe und seine Armee erwarteten sie bereits. Eine gewaltige Masse von hell in der Sonne glitzerndem Stahl; schwerfällig und lustlos hingen die Standarten der Stadtwachen und die Stammeswimpel über einem Meer aus spitzen Helmen. Die aufgereihten Soldaten schwankten und wogten, als würden unsichtbare Strömungen an ihnen zerren. Ihre Zahl war Schwindel erregend.
    Der Fluss war ein dünner, schmaler Streifen sechshundert Schritt voraus, von Felsblöcken übersät und an den Ufern von dornigem Gebüsch gesäumt. Ein von Händlern benutzter Trampelpfad führte zu der Stelle, wo man üblicherweise den Fluss überquerte, und wandte sich jenseits der Furt nach Westen, auf das zu, was normalerweise ein sanfter Hang gewesen wäre, der zum gegenüberliegenden Kamm hinaufführte. Doch Reloes Sappeure waren nicht untätig gewesen: Sie hatten eine Rampe aus Sand und Erde aufgeschüttet, und an beiden Seiten der Rampe war der natürliche Hang abgetragen worden, sodass es dort jetzt steil hinunterging. Im Süden des ausgetrockneten Sees lag ein wirres Durcheinander aus Trockentälern, Felsnadeln, Geröll und zerklüftetem Gestein; im Norden wuchsen gezackte Hügelkämme in die Höhe, die im gleißenden Licht der Sonne so weiß wie gebleichte Knochen waren. Kamist Reloe hatte dafür gesorgt, dass es nur einen Ausgang aus dem Becken gab – Richtung Westen; und dort, auf dem höchsten Punkt der Rampe, warteten seine Elitetruppen.
    »Beim Atem des Vermummten«, murmelte Korporal List. »Der Bastard hat den Gelor-Kamm umgebaut, und schaut einmal nach Süden, Herr – dort, diese Rauchwolke, das war bestimmt die Garnison in Melm.«
    Duiker blinzelte in die angegebene Richtung; er konnte etwas sehen, was noch näher lag. Auf dem Gipfel eines Berges, der den südöstlichen Rand des ausgetrockneten Sees überragte, erhob sich eine Festung. »Wozu hat das da oben wohl gehört?«, überlegte er laut.
    »Das ist ein Kloster«, sagte List. »Zumindest wurde es auf der einzigen Karte, auf der es eingezeichnet ist, so bezeichnet.«
    »Und welchem Aufgestiegenen ist es geweiht?«
    List zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich einem der Sieben Heiligen.«
    »Wenn dort noch irgendjemand ist, dann wird er einen tollen Blick auf das haben, was hier geschehen wird.«
    Kamist Reloe hatte unten im Becken und zu beiden Seiten seiner Elitetruppen weitere Streitkräfte postiert, um den nördlichen und den südlichen Ausgang zu blockieren. Über der Streitmacht im Süden wehten die Banner der Sialk, Halafan, Debrahl und Tithansi; im Norden waren die Banner der Ubari zu erkennen. Jede einzelne der drei Streitkräfte war Coltaines Truppen zahlenmäßig weit überlegen. Ein Gebrüll tönte von

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