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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Tagen geflüstert, als der Wirbelwind zu neuer Raserei erwacht war.
    Leoman hatte ihm darauf nichts antworten können. Sein Glaube lag in Scherben. Der eingewickelte Leichnam Sha’iks lag noch immer zwischen den vom Wind geformten steinernen Wachtürmen. Er war zusammengeschrumpft. Das Leichentuch aus Zeltstoff war von dem unablässig daran zerrenden und rupfenden Wind ziemlich mitgenommen worden. Ausgetrocknete Gelenke ragten aus dem durchgescheuerten Gewebe hervor. Ihr Haar, das noch wochenlang weitergewachsen war, hatte sich gelöst und unaufhörlich im Sturm geweht.
    Doch jetzt hatte sich etwas verändert. Der Wirbelwind hielt seinen unsterblichen Atem an. Die Wüste, die ganz und gar von ihren Knochen aus Felsen abgehoben worden war, füllte nun die Luft und weigerte sich, wieder zurückzusinken.
    Der Toblakai betrachtete dies als das Ende des Wirbelwinds. Die Ermordung Sha’iks hatte einen lang anhaltenden Wutanfall ausgelöst – eine besiegte Göttin, rasend vor Enttäuschung und Wut. Zwar breitete die Rebellion ihren blutigen Mantel über das Reich der Sieben Städte, doch ihr Herz war tot. Die Armeen der Apokalypse waren die zuckenden Glieder eines Leichnams.
    Leoman, der vom langen Hungern Visionen und Fieber hatte, hatte allmählich begonnen, ebenfalls dieser Überzeugung zuzuneigen.
    Aber trotzdem …
    »Diese Mahlzeit wird uns die Kraft geben, die wir brauchen, Leoman«, sagte der Toblakai.
    Um zu geben. Und wohin gehen wirf In die Oase im Zentrum der Raraku, wo eine Armee noch immer auf ihre tote Anführerin wartet? Sind wir die Erwählten, die die Botschaft unseres tragischen Scheiterns überbringen dürfen? Oder lassen wir sie im Stich? Machen uns auf nach Pan’potsun, und dann weiter nach Ehrlitan – eine Flucht in die Anonymität?
    Der Krieger wandte sich um. Sein Blick wanderte über den Boden und blieb schließlich an Dryjhnas Buch hängen, das wartend dalag; der Wirbelwind hatte es nicht beschädigt, und selbst der Staub, der sonst den Weg überallhin fand, konnte ihm nichts anhaben. Die Macht ist noch da. Die Erwartung ungestillt. Wenn ich dieses Buch ansehe, weiß ich, dass ich nicht loslassen kann …
    »Klingen in den Händen, und handlos in Weisheit. Jung und doch alt, das eine Leben unversehrt, das andere unvollendet … sie wird sich erheben, wird erneuert daraus hervorgehen …« Lag eine noch immer verborgene Wahrheit in diesen Worten? Hatte seine Fantasie, seine halsstarrige Sehnsucht ihn betrogen?
    Der Toblakai kauerte sich vor den toten Eidechsen auf den Boden, drehte die erste auf den Rücken und setzte die Klinge eines Messers an ihren Bauch. »Ich werde nach Westen gehen«, sagte er. »In die Jhag-Odhan.«
    Leoman warf ihm einen Blick zu. In die Jhag-Odhan, um dort anderen Riesen Auge in Auge gegenüberzustehen. Denjhag selbst. Den Trell. Noch mehr Wilde. Der Bursche wird sich in dem Ödland so richtig zu Hause fühlen. »Das hier ist noch nicht vorbei«, sagte der Krieger.
    Der Toblakai fletschte die Zähne; er schob eine Hand durch den Schnitt in den Bauch der Eidechse und zog sie voller glitschiger Eingeweide wieder heraus. »Das hier ist ein Weibchen. Man sagt, die Eier sind gut gegen Fieber …«
    »Ich habe kein Fieber.«
    Der Riese antwortete nicht, doch Leoman sah, dass er sich straffte. Der Toblakai war zu einem Entschluss gekommen.
    »Nimm dir, was von deiner Beute übrig ist«, sagte der Krieger. »Du wirst es nötiger brauchen als ich.«
    »Du machst Witze, Leoman. Du siehst dich selbst nicht so, wie ich dich sehe. Du bist nur noch Haut und Knochen. Du hast deine eigenen Muskeln aufgezehrt. Ich kann den Schädel hinter deinem Gesicht sehen, wenn ich dich anschaue.«
    »Trotzdem ist mein Verstand klar.«
    Der Toblakai grunzte. »Ein gesunder Mann würde das nicht mit solcher Sicherheit behaupten. Ist das nicht die geheime Offenbarung der Raraku? ›Wahnsinn ist einfach nur ein Geisteszustands«
    »Die Bezeichnung ›Sprichworte des Narren‹ ist treffend bezeichnet«, murmelte Leoman. Seine Stimme erstarb. Die heiße, unbewegte Luft erschien ihm plötzlich drückend. Der Krieger spürte, wie sein Herz schneller, heftiger zu schlagen begann.
    Der Toblakai richtete sich auf; seine riesigen Hände waren blutverschmiert.
    Die beiden Männer drehten sich langsam nach dem alten Tor um. Das schwarze Haar, das aus dem eingewickelten Leichnam wuchs, bewegte sich; einzelne Strähnen hoben sich sanft. Jenseits der Säulen hatte der schwebende Staub zu wirbeln begonnen. Funken

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