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Im Bann des blauen Feuers

Im Bann des blauen Feuers

Titel: Im Bann des blauen Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Kilborne
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Pinzette in die Nähe der Wunde kam, fing ihre Hand so stark an zu zittern, dass sie den Versuch abbrechen musste.
    Bleib ganz ruhig, versuchte sie sich zu entspannen. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Ich kann es schaffen, ich muss mich nur konzentrieren und darf nicht daran denken, was ich hier eigentlich tue, motivierte sie sich selbst. Es war im Grunde ein Experiment, nichts weiter. Ein Versuchsaufbau. Wie oft hatte sie schon die Zufuhr einer gewissen Substanz reduzieren müssen, um die gewünschte Reaktion zu erzielen? Das hier war im Grunde auch nichts anderes.
    Als sie die Lider wieder aufschlug, war sie ganz gefasst. Und als sie die Pinzette dieses Mal in die Wunde führte, zitterten ihre Finger nicht.
    Doch der Stachel, den sie entfernen musste, hatte sich so tief in Ashs Fleisch gebohrt, dass sie ihn hin und her bewegen musste, um ihn herauszubekommen. Mit einem erstickten Schrei erwachte Ash aus seiner Bewusstlosigkeit. Ein unkontrolliertes Zucken lief durch seinen Körper, und Céleste hatte Angst, ihn noch mehr zu verletzen, wenn sie nicht schnell handelte.
    Mit aller Kraft zog sie noch einmal an dem Stachel, und dieses Mal – endlich! – löste er sich.
    Erleichtert und gleichzeitig erschöpft wischte Céleste sich den Schweiß von der Stirn. Voller Sorge blickte sie auf Ash herab, der noch immer heftig zitterte und leichenblass war.
    Doch er lächelte.
    „Danke“, flüsterte er heiser. „Du hast mir das Leben gerettet.“
    Dann dämmerte er weg.
    Unruhig lief Lucien vor dem schmiedeeisernen Tor zum Cimetière du Père Lachaise  – dem größten und ältesten Friedhof von Paris – auf und ab. Der Fünfzehnjährige fühlte sich alles andere als wohl. Friedhöfe waren generell nicht so sein Ding. Selbst bei hellem Tageslicht ließ ihm der Anblick der Grabsteine und Mausoleen einen eisigen Schauer den Rücken hinunterrieseln. Mitten in der Nacht war davon zwar zum Glück nicht viel zu sehen, dafür zuckte er bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammen.
    Als Kind war er einmal auf der Couch vor dem Fernseher eingeschlafen. Seine Eltern waren ausgegangen, Céleste war bei einer Freundin gewesen, und der Babysitter schaute sich einen Horrorfilm an. Als er aufwachte, saß er wie erstarrt vor dem Fernseher. An Details konnte Lucien sich nicht erinnern. Aber er wusste noch ganz genau, was für schreckliche Ängste er ausgestanden hatte.
    Noch Wochen später war es ihm nur möglich gewesen, bei eingeschaltetem Korridorlicht zu schlafen. Und wenn er ehrlich war, passierte es ihm auch heute noch manchmal, dass er starr vor Angst in seinem Bett lag, wenn der Wind die Zweige der großen Ulme vor seinem Fenster an der Hausfassade entlangstreifen ließ. In seinem Kopf formten sich dann Bilder von schrecklich entstellten Wesen mit furchterregenden Klauen, die über die Wand kratzten, während sie versuchten, zu seinem Fenster zu gelangen.
    Allein die Vorstellung davon verursachte ihm gleich wieder Gänsehaut, und er zwang sich, an etwas anderes zu denken. Wenn die Jungs mitkriegten, dass er sich wie ein Mädchen anstellte, würden sie sich schlapp lachen über ihn. Auf keinen Fall durfte ihm irgendjemand anmerken, wie unwohl er sich fühlte. Aber es war ja niemand da.
    Seltsam eigentlich. In seiner SMS hatte Michel ihn und die anderen hierherbestellt. Vermutlich ging es mal wieder um eine Mutprobe, wie so oft. Darauf fuhr Michel nämlich total ab. Ständig verlangte er von ihnen irgendwelche schrägen Dinge – und wenn Michel etwas forderte, dann tat man besser daran, seine Anweisung zu befolgen, und zwar schleunigst.
    Trotzdem wunderte sich Lucien ein wenig. Die meisten seiner Freunde von der Schule wohnten nicht so weit draußen wie er. Müssten die anderen nicht normalerweise schon hier sein?
    O Mann, Michel, ich hoffe bloß, das soll jetzt nicht nur irgendein dämlicher Scherz sein …!
    Ein Rascheln im Gebüsch auf der anderen Seite der Friedhofsmauer ließ Lucien zusammenfahren. „Hey!“, rief er mit vor Schreck heiserer Stimme. „Ist da jemand? Michel, bist du das?“
    Er starrte zwischen den Gitterstäben des Tors hindurch in die Finsternis. Nach ein paar Sekunden glaubte er den Umriss eines Menschen auszumachen, der sich eine Nuance dunkler gegen die Schwärze der Nacht abhob.
    „Lucien …“
    Die Stimme hatte so leise geklungen wie das Rauschen des Windes, doch Lucien war sicher, dass er seinen Namen gehört hatte.
    „Michel?“ Er trat näher ans Tor. „Komm schon, was soll der

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