Im Bann des Falken
darauf, daß sie alle zum Palast übersiedelten, und ließ sich davon nicht abbringen. Bethany mußte sich eingestehen, daß seine Genesung an ein Wunder grenzende Fortschritte gemacht hatte. Sie begann sich zu fragen, ob Zakr den Heilungsprozeß mit purer Willenskraft beschleunigen konnte.
Schon die Pracht des Jagdhauses hatte Bethany in Staunen versetzt, doch der Palast übertraf all ihre Erwartungen. Er war aus gelbem und schwarzem Gestein gebaut, das Innere bot sich wie ein Märchenreich aus Marmor, Gold, Perlmuttmosaiken, prächtigen Holzschnitzereien und Malereien dar. Die Fenster bestanden aus brillantfarbenem Glas, die Fußböden bedeckten kostbare Marmorsorten.
Zakrs beide kleine Töchter wurden geholt, um Bethany kennenzulernen. Es waren stille, ernste Mädchen, die sehr scheu wirkten und Bethany ehrfürchtig beäugten. Sie waren vier und sechs Jahre alt und hatten bisher nur Umgang mit Landsleuten gehabt. Ehrfürchtig bestaunten sie die dichten goldblonden Haare ihrer neuen Stiefmutter und konnten den Blick nicht von ihr abwenden.
“Ich hoffe, sie gewöhnen sich schnell an mich”, sagte sie seufzend zu Zakr, nachdem die Kinder fortgebracht worden waren.
“Das wird nicht leicht sein.” Zakr war brummig, weil Bethany sich geweigert hatte, zu ihm ins Bett zu schlüpfen.
Sie lächelte matt. Auch ihr fiel es schwer, ihn abzuweisen und gegen ihr eigenes Verlangen anzugehen. “Auch für mich ist es nicht leicht, Zakr.”
“Gut!” trumpfte er trotzig auf. “Geschieht dir recht, wenn du auch leidest.”
Bethany war überaus erleichtert, als Dr. Hong am folgenden Tag ankam. Zakr hatte kein Fieber mehr, und seine Wunde schien sich nicht entzündet zu haben, aber die Verantwortung hatte wie eine drückende Last auf Bethanys Schultern geruht.
Sie ertrug es nicht, dabeizusein, während der Arzt Zakr untersuchte, doch das Warten auf die Diagnose des Spezialisten kam ihr endlos vor.
Habe ich während der laienhaften Operation etwas falsch gemacht? Muß Zakr erneut operiert werden? fragte Bethany sich bang. Als Dr. Hong schließlich mit den Ergebnissen der Röntgenaufnahmen erschien, war sie ein Nervenbündel.
“Nun?” fragte sie gespannt und sah den berühmten Chirurgen angstvoll an.
“Alles ist bestens. Sie haben ganze Arbeit geleistet.” Dr.
Hong reichte ihr zur Bestätigung die Röntgenaufnahme. “Alle Achtung, Sie haben sich tapfer geschlagen, Schwester McGregor. Oder …” Er sah sie unsicher an. “Wie soll ich Sie jetzt anreden?”
“Schwester ist in Ordnung”, erwiderte Bethany beiläufig.
“Sind Sie sicher, daß die Wunde gut verheilt?”
“Natürlich braucht so etwas seine Zeit”, erinnerte sie der kleine Chinese sanft. “Jetzt kann ich Ihnen nur das empfehlen, was die besten Ärzte der Welt seit über zweitausend Jahren predigen …” Als er lächelnd verstummte, sah Bethany ihn unsicher an. “Und was wäre das?”
Der Arzt lachte. “Eine Zeit der Ruhe, in der die Natur das übernimmt, was wir nicht können.”
“Aha!” Erleichtert atmete Bethany auf, dann lächelte sie zufrieden. Für eine Weile würde Zakr jetzt bei ihr zu Hause bleiben müssen, ob er wollte oder nicht. “Und was ist mit meinem Vater?”
“Dasselbe. Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Außerdem braucht er gesundes, nahrhaftes Essen, das ihn wieder aufpäppelt. Für einen Mann seines Alters besitzt Ihr Vater eine erstaunlich robuste Konstitution.”
Zufrieden seufzend betrachtete Bethany den Mann, den sie für astronomische Kosten hatte einfliegen lassen. “Dr. Hong, ich danke Ihnen sehr, daß Sie so kurzfristig den weiten Weg hierhergekommen sind…”
Er lachte vergnügt. “Ich hatte das Gefühl, daß ich Ihnen das schlecht abschlagen konnte, Schwester McGregor. Aber auch wegen der großzügigen Geldspende für unser
Forschungsprogramm hat sich die Reise gelohnt. Außerdem muß ich gestehen, daß es für mich höchst interessant war, meine beste OP-Assistentin als Herrscherin über ein Land wiederzutreffen.”
“Nun ja, die Herrscherin bin ich ja eigentlich nicht”, berichtigte Bethany den Chirurgen schelmisch. “Aber nachdem sich jetzt herausgestellt hat, daß Zakr Ihre Künste gar nicht braucht, wird es für mich möglicherweise nicht ganz leicht sein, zu rechtfertigen, warum ich Sie herbemüht habe, Dr. Hong. Und da Sie nun schon mal hier sind, möchte ich Sie bitten, sich die Soldaten anzusehen, die bei der Rettung meines Vaters verwundet wurden. Sie sind zwar schon verarztet worden, aber
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