Im Bann des Feuers Drachen2
Springen, Zuschlagen, Wenden und dem Versuch, Flanke, Schwingen und Kopf zu schützen. Häufig triumphierte ich, wurde jedoch auch bezwungen und musste mich zurückziehen.
Und immer wieder empfand ich den schrecklichen Verlust, wenn ich ein Junges an einen Python verlor, einen Geier oder einen Menschen. Immer wieder spürte ich die Qual, wenn ein Messer meine Schwinge von meiner Flanke schnitt, fühlte die Fesseln um meine Beine, fühlte die Last eines Jochs auf meinen Schultern.
Aber niemals erlebte ich auch nur die Andeutung eines Hinweises darauf, warum aus den Eiern, die in einer Brutstätte gelegt wurden, niemals ein Drachenbulle schlüpfte.
Nicht ein Mal.
Meine Zeit der Gnade war nicht von langer Dauer, falls man einen Zustand der Gefangenschaft überhaupt als Gnade beschreiben kann.
Nach einer Weile nutzte sich die Einzigartigkeit meiner Interpretationen der Drachengesänge ab, und die Drachenjünger wurden meines Geredes über Futter und Pflege der Brutdrachen müde. Zusammen mit meinem irrationalen Gerede, wenn ich in den Klauen des Gifts lag, frustrierte es die Drachenjünger zusehends.
Noch anderes sprach gegen mich: mein rasch abnehmender Appetit; mein Desinteresse daran, auch nur so zu tun, als würde ich »Kunst« schaffen; dass ich mich nicht bemühte, Faulheit zu vermeiden und meinen Verstand zu üben; die Häufigkeit meines »rastlosen Schlafs« in der Gewölbekammer der Viagand, der von Großmutter und anderen als Fehlverhalten gemeldet wurde; meine bleiche Haut und entzündeten Augen; die Häufigkeit, mit der ich in Gegenwart der Eunuchen aus Gier nach dem Gift weinte.
Als Najiwaivia, das einhunderterste Mädchen in der Gewölbekammer der Viagand auftauchte und kurz danach Najikazonvia und dann Najirutvia, wusste ich, dass meine Zeit als Favoritin vorbei war. Diese drei würden frische Interpretationen der Drachengesänge liefern. Mein schwacher Vorteil war gänzlich verschwunden. Selbst in meinem entkräfteten, benommenen Zustand war mir klar, dass mein nächster obligatorischer Besuch in der Baracke der Wächter sehr hart werden würde und dass diese unverständlichen, stählernen Instrumente in den Erholungsnischen von den Drachenjüngern angewendet werden würden, damit ich die Drachenlieder besser interpretierte.
Da wurde mir klar, dass ich wie Kabdekazonvia geworden war. Ich ergab mich dem Wissen genauso, wie ich mich allem anderen ergab, was meine Wächter mir antaten.
Ich weiß nicht, wer es zuerst sagte. Najiwaivia, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt. Aber jedenfalls riss es uns alle aus unserer Lähmung.
»Bitte verzeih mir meine Anmaßung, Großmutter, aber müssten die Eunuchen nicht längst gekommen sein?«
Meine Augenlider kratzten über meine Augen wie Sackleinen, als ich blinzelte. Langsam fokussierte sich mein Blick auf Großmutter, die mir auf einem Kissen gegenübersaß.
Wir hatten uns mechanisch auf den Kissen und Diwanen der Gewölbekammer versammelt, um die Morgenfütterung über uns ergehen zu lassen. Jetzt hockten wir da und starrten, ohne zu blinzeln, ins Leere. Ich hatte schlecht geschlafen, was häufig geschah, wenn eine Klaue voll Tagen nach meiner letzten Vereinigung mit einem Drachen verstrichen war und das Gift in meinem Blut sich so kalt und scharf wie Reif anfühlte. Der Geist meiner Mutter hatte die ganze Nacht wie eine Made in dem Kokon meiner Psyche gewütet und wie verrückt gegen die Membran gekämpft, die ihn umschloss. Selbst jetzt, am helllichten Tag, als ich mit dem Rest der Viagand auf den Kissen saß und auf die Eunuchen wartete, fühlte ich das schreckliche Zappeln.
»Sie hat recht«, murmelte eine andere der neuen Frauen. »Hätten die Eunuchen nicht längst hier sein müssen, Großmutter?«
Großmutter legte den Kopf auf eine Seite und starrte auf das grünliche Licht, das durch einen der Fensterschlitze in den Raum fiel.
»Es scheint, als würden sie sich heute ein wenig verspäten«, erklärte sie schließlich mit ihrer ruhigen, tonlosen Stimme. »Ich bin sicher, dass sie einen guten Grund dafür haben.«
»Wie lange bleiben wir hier sitzen?«
»Bis sie kommen.«
»Aber wir sitzen bereits eine Weile hier. Mittag ist längst vorbei. Ich muss mich erleichtern, Großmutter. Verzeih mir.«
Jetzt blickten wir alle auf das Licht, das durch den Fensterschlitz hereinschien, und betrachteten den Winkel, in dem die schwachen Lichtstrahlen auf den Boden und die Wände trafen. Es überraschte mich, wenngleich nur ein wenig, als
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