Im Bann des Feuers Drachen2
Novizen auf die Beine. Ich stützte mich schwer auf ihn, als wäre er eine Krücke, und wir kehrten in den Gang zurück, durch den wir die Arena betreten hatten. Es schien ein ganzes Lebensalter vergangen zu sein, und doch waren nur wenige Momente verstrichen.
22
I n jener Nacht bettelte ich den Drachenmeister um Gift an. Der Schmerz von meinen zertrümmerten Rippen durchströmte in quälenden Wellen meinen Oberkörper, während Eidon unaufhörlich meinen Kopf forderte, weil ich den Tod seines Liebhabers verursacht hätte. Ich wollte das Gift nicht nur, um die Schmerzen zu lindern, sondern um dieses schreckliche Bild aus meinem Hirn zu vertreiben, wie ein Junge zerfetzt wurde, wie Ringus’ Eingeweide in schimmernden Ringen über mir baumelten. Ich brauchte das Gift, um die Furcht zu bekämpfen, welche die Gewissheit in mir auslöste, dass mir morgen dasselbe Schicksal beschieden wäre.
Der Komikon verweigerte mir das Gift.
»Glaubst du, ich könnte den heutigen Erfolg wiederholen?«, brüllte er mich an. »Niemand anderer als Ringus kann so schnell neben mir mit dem Bullen arbeiten! Morgen wirst du nur mit Drachenködern die Arena betreten: einem schwer verletzten Veteranen, der dich umbringen will, und vier entbehrlichen Novizen!«
»Bitte, ich brauche Gift!«
»Du spreizfüßige Missgeburt!«, schrie der Drachenmeister. Die Onahmes in den Boxen neben uns schnaubten und trampelten vor Aufregung. »Du dotterhirnige Metze! Ruf den Dirwalan, ruf deinen Vogel!«
»Das kann ich nicht!«, brüllte ich ihn an. Der Schmerz in meinem Brustkorb machte mich schwach, und mir brach der Schweiß aus. »Sie kommt nicht, versteht Ihr das nicht? Sie hat mich verlassen; ich habe sie gerufen, aber sie ist nicht gekommen …« Meine Worte erstickten in einer Reihe schmerzhafter Schluchzer.
Ich war zerschmettert, verloren. Meine Mutter war nicht gekommen.
»Gebt mir etwas Gift, bitte!«, jammerte ich. Ich glaube, der Drachenmeister wäre geflohen, entweder, um mir einen betäubenden Trank zu bringen, oder weil er begriffen hatte, dass alles verloren und seine öffentliche Hinrichtung damit so gut wie sicher war.
Nur konnte er nicht weglaufen.
Denn jetzt hielt nicht nur ein Inquisitor in meiner Stallbox Wache. Die Onahme, die dort untergebracht worden war, war weggeschafft worden; und ihre Box wurde jetzt von vier Inquisitoren besetzt, alle groß und von Kopf bis Fuß in weiße Gewänder gehüllt. Sie bewachten den Drachenmeister und mich, damit wir morgen von Re öffentlich ausgeweidet werden konnten.
Mir war klar, dass der Tempel am nächsten Tag nicht noch einmal den Fehler begehen und zulassen würde, dass wir beide überlebten.
Der Morgen dämmerte, und ich konnte mich kaum rühren. Ohne Rücksicht auf meinen Schmerz führten die Inquisitoren mich zu dem Karren, der bereit stand, uns in die Arena zu transportieren. Ich war erneut gefesselt.
Genauso wie der Drachenmeister, der an Händen und Füßen angekettet war, sich jedoch nicht in steifer, stiller Qual bewegte, sondern gegen seine Ketten wütete, sich wand, knurrte und wilde Flüche ausstieß. Es hatte sieben kräftiger Stallburschen des Nashvenir bedurft, um ihn zu fesseln, auf Befehl von Waikar Re Kratt. Alle sieben hatten Prellungen, Bisswunden und Schnitte von dem Kampf davongetragen, einige sogar Knochenbrüche.
Der Drachenmeister stieß Beschimpfungen und Djimbi-Flüche aus, als er von drei Inquisitoren an den letzten Karren der Prozession gebunden wurde. Er musste den Weg zur Arena laufen.
Es rasselte.
Die Ketten, mit denen meine Handgelenke gefesselt waren, wurden ebenfalls an dem hinteren Ende des Karrens befestigt. Also musste auch ich zur Arena gehen.
Das würde ich niemals schaffen. Wenn ich nicht vorher vor Schmerz ohnmächtig wurde, würde ich von der Menge am Straßenrand zu Tode gesteinigt werden. Eine dumpfe Betäubung legte sich über mich, die so groß war, dass ich nichts empfand, als mein Blick auf Dono fiel, dessen linkes Auge geschwollen und blutunterlaufen war. Ich fühlte gar nichts.
Die Karren fuhren knarrend an, bogen auf die lange, von Bäumen gesäumte Allee des Nashvenir Re ein. Auf halbem Weg warteten Waikar Re Kratts Drachenjünger und Adlige auf ihren Reittieren, erfüllt von der Gewissheit, dass Kratts Dummheit, was mich anging, schon bald enden würde, dass dieser unabsehbare Fehler, mir zu erlauben, so lange zu leben, schon bald korrigiert würde.
Waikar Re Kratt setzte sich an die Spitze unserer Prozession. Er thronte
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