Im Bann des Feuers Drachen2
verdächtigte, mich zu verdächtigen – er hatte mich nicht seinen Tempeloberen ausgeliefert, als die ihre Verhöre unter den überlebenden Bewohnern der Zone der Toten durchführten. Durch sein Schweigen war Oteul folglich zum Komplizen meines Verbrechens geworden.
Zu einem mürrischen, widerwilligen Komplizen.
Folglich reagierte ich instinktiv mit Misstrauen, als ich ihn die Etagen des Tempels Ornisak heruntersteigen sah, die Kutte rußverschmiert, dazu Zweige, die sich im Saum verfangen hatten. Ich wollte mich im Schatten versteckt halten. Aber er bemerkte mich sofort, trotz des dämmrigen Lichts, trotz meiner Reglosigkeit und meines Schweigens.
Aber erst als er nur noch ein paar Schritte von mir entfernt war und die Hand mit den langen, feingliedrigen Fingern ausstreckte, um – wie er wohl dachte – für den Tag den letzten der zahlreichen Bettler wegzuschicken, erkannte er meine Gesichtszüge. Er blieb wie angewurzelt stehen.
»Du.« Seine Stimme klang wie ein Peitschenschlag, verächtlich.
Ich stand auf. »Ich warte auf Drachenjünger Gen.«
»Da kannst du lange warten.«
»Warum?«
»Er ist fort. Verschwunden.«
»Was? Wann?«
»Vor ein paar Tagen.«
»Warum?«
»›Warum‹ fragst du?« Er klang ungläubig. »Wir waren da, auf der Straße der Geißelung. Wir haben gesehen, was du getan hast. Er hat dich aufgenommen, dich geheilt, und du vergiltst es ihm, indem du dich ganz offen dem Tempel widersetzt? Indem du es wagst, dich in die Lehre des Drachenmeisters zu begeben? Indem du dich in aller Öffentlichkeit deiner Kleidung entledigst …?« Er sah zur Seite, schluckte und richtete seinen Blick dann wieder auf mich, was ihn sichtlich einige Mühe kostete. »Der Drachenjünger hat sich anschließend höchst merkwürdig verhalten.«
Er hat sich schon immer merkwürdig verhalten, dachte ich, während mir schwindelte.
»Er war aufgebracht, rastlos, außer sich. Er hatte Angst, dass man deine Spur bis zu uns zurückverfolgen könnte, zum Tempel Ornisak.«
»Und jetzt ist er weg«, sagte ich verdattert.
»Um sein eigenes Leben zu retten.«
»Wohin?«, stieß ich heiser hervor.
Er schnaubte verächtlich. »Ich würde es dir nicht sagen, selbst wenn ich es wüsste.«
Ein kalter Hauch glitt über meinen Hals, wie die stählerne Klinge eines Inquisitors.
Drachenjünger Gen war verschwunden. Die Schriftrolle des Rechtshäuptigen Kranichs war ebenfalls verschwunden. Meine Exekution war folglich gewiss.
Ich drehte mich um, ohne meine Umgebung wahrzunehmen, ohne auch nur zu merken, dass ich mich bewegte.
»Er hat mir einmal das Leben gerettet«, sagte Oteul leise hinter mir. »Ich hätte ihm deinetwegen niemals Schaden zugefügt. Aber höre: Ich weiß, was du getan hast. Ich weiß, warum die Menschen dieser Zone unter den Verlusten leiden, die man ihnen zugefügt hat. Du warst der Grund, heho! Wenn es Gen nicht kompromittieren würde, würde ich den Tempel über dich informieren.«
Sein Ton war so dunkel und bitter wie der schwarze, wässrige Saft einer unreifen Walnuss. »Er hätte dich abweisen sollen, anstatt dich zu verbergen. Seine Freundlichkeit ist seine Schwäche.
Aber der Tempel wird dich noch früh genug hinrichten«, fuhr Oteul fort. Seine Stimme klang jetzt zuversichtlich. »Der Tag naht mit großen Schritten, an dem Brutstätte Re von deinem Bösen gesäubert wird. Ich bete darum, dass dieser Tag bald kommen möge. Ich bete um deinen Tod.«
Ich floh aus dem Tempel.
8
K euchend und ohne auch nur mehr einen klaren Gedanken fassen zu können, stolperte ich zu der kleinen Seitentür in der Hütte der Schüler; es war bereits lange nach Mitternacht, und es war dieselbe Tür, durch die ich am Mittag die Stalldomäne verlassen hatte. In der sternenübersäten, kalten Nacht wirkte meine Hand teigig und zierlich, als ich sie ausstreckte, um die Tür aufzustoßen.
Ein Felsbrocken neben der Tür richtete sich plötzlich auf. »Nicht da durch!« Die Stimme krächzte, klang belegt von Wut und Schlaf. Einen Moment durchzuckte mich die Furcht, es wäre die Stimme Oteuls. Ich starrte die Person benommen an, die sich vom Boden erhoben hatte, und erst nach einer Weile erkannte ich sie. Dono.
»Hier lang.« Es mochte Donos Gesicht sein, aber die verbitterte Stimme glich der von Oteul.
Dono drehte sich um, setzte sich in Bewegung, schlurfte an der Sandsteinmauer der Stalldomäne entlang, die Schultern hochgezogen, ungeduldig. Als ihm auffiel, dass ich ihm nicht folgte, blieb er stehen.
»Du kannst
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