Im Bann des Feuers Drachen2
erkennen waren.
»Erde, Luft, Wasser, Feuer«, murmelte Ringus. »Drache, Korn, Sterne, Schlange.«
Dann erklärte er die Würfel.
Jede Ziffer auf den Würfeln hatte nicht nur einen Zahlenwert, sondern repräsentierte auch eine Stufe in der Hierarchie unserer Gesellschaft.
Die Eins, die niedrigste Zahl, stand für das Weibliche, die Sechs war männlich. Die Zwei symbolisierte die Rishi, die Drei die Bayen. Die Vier repräsentierte einen Krieger und die Fünf Luda Fa-Pim, die Großgrundbesitzer von reinem, drachengesegnetem Blut.
»Siehst du, da bist du schon wieder«, sagte Ringus, als die Spindel, die Eidon geworfen hatte, im Staub landete. Sie deutete in die Richtung der Zeit des Feuers, das heißt, das Achteck zeigte nach Osten, die Spindel nach Westen. Das Abbild des Drachen lag nach oben, die Zahl auf dem einen Würfel war die Zwei, für Rishi, auf dem anderen die Eins, für weiblich.
»Es ist eine gute Vorhersage, laut der Richtung des Schicksalsrades, das die niedrigen Zahlen auf den Würfeln ausgleicht«, erklärte Ringus und sah mich zurückhaltend und erwartungsvoll an. »Es ist das achte Mal heute Abend, dass Eidon genau diese Vorhersage geworfen hat. Dasselbe ist gestern Abend passiert. Weißt du, wie hoch die Chancen sind, dass so etwas so oft vorkommt?«
Es war eine rhetorische Frage.
Ich betrachtete die anderen Veteranen und Diener. Sie pausierten mit ihrem Spiel und beobachteten uns. Alle, ohne Ausnahme.
»Jeder weiß, dass er diese Vorhersage gewürfelt hat«, murmelte ich in Ringus’ Richtung.
»Ja. Es … So etwas ist noch nie vorgekommen. Diese Art von Kombination, und dazu immer wieder. Acht Mal.«
Acht Mal. Die Acht war eine mächtige Zahl. Acht für die Zahl der Krallen an den Vorderpranken eines Drachen. Acht für die Zahl der Kämpfe, in welchen der Reine Drache gegen die Eine Schlange gesiegt hatte. Acht für die Zahl der Himmelswächter, welche das Himmlische Reich bewachten.
Ein Windstoß wirbelte Sand über die sitzenden Schüler, ein alarmierend kalter Wind, der schwach nach Aasvogel roch. Ein blaues Leuchten glitt über uns alle, löste sich dann jedoch im Dunkel auf.
Ringus, der neben mir stand, schüttelte sich.
»Eidon will, dass du morgen Abend bei uns sitzt«, flüsterte er mir zu. Seine Stimme klang heiser, sein Blick wirkte gehetzt. »Und von da an jeden Abend. Solange das Schicksalsrad es bestimmt, sitzt du bei uns.«
Ich nickte.
Welche besondere Kraft den Fall des Schicksalsrades auch bestimmt haben mochte – jedenfalls hatte ich jetzt einen Verbündeten.
Die glühenden Tage verliefen in der Hitze der gnadenlosen Zeit des Feuers zu Wochen, und mein Leben in den Stallungen des Drachenmeisters wurde erfüllt von einer Mischung aus harter Arbeit, anstrengender Ausbildung und argwöhnischer Kameradschaft mit meinen Schülergefährten. Arbeit und Stallpolitik füllten meine Tage, während ich in den Nächten vom Geist meiner Mutter heimgesucht wurde. Ich träumte.
Von Waivia.
Es waren schreckliche Träume, bedrückend, beladen von sexueller Erniedrigung und Folter oder durchdrungen von den Grausamkeiten, die Waivia als Kind hatte ertragen müssen, von den Angehörigen des Töpferclans, die Djimbi so verachteten. Aus Ersteren erwachte ich in Schweiß gebadet, keuchend vor Entsetzen, aus Letzteren von Schuldgefühlen geplagt, weil Waivia eine solch elende Kindheit hatte durchmachen müssen, während meine die unbesorgte, unbekümmerte eines Kindes gewesen war, das nicht mit dem Makel einer gefleckten Haut belastet war.
Diese Träume waren jedoch nicht das Einzige, womit mich der Geist meiner Mutter während der Zeit des Feuers in der Stalldomäne des Drachenmeisters quälte; sie verfolgte mich auch tagsüber, in Gestalt des Truthahngeiers.
Zumeist vermochte ich sie zu ignorieren, so wie man einen lästigen, dumpfen Kopfschmerz ignoriert, außer an jenen Tagen, an denen meine Gefährten versuchten, meinen Schwur auf die Probe zu stellen, niemals einen Kameraden niederzuschlagen. An jenen Tagen erinnerte ich mich sehr schmerzlich an die Chance, die ich gehabt hatte, Kratt zu töten, und wie ich sie hatte verstreichen lassen. Und auch an jenen Tagen, an denen kein Wind wehte, die Sonne vom Himmel brannte, die Luft sich so heiß und dick anfühlte wie Rauch und an denen ich mich dabei ertappte, dass ich viel zu häufig auf die Zungen der Drachen starrte, denen ich diente, mich erwischte, wie ich tief den Limonenduft ihres Giftes einsog, erfüllt von
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