Im Bann des Fluchträgers
wolltest?«
Sie blickte ihn an, gehetzt ihr Blick, dann senkte sie rasch den Kopf und holte Luft.
»Ich weiß, dass du mich beobachtest, Ravin. Und ich weiß, dass Skaardja denkt, ich … ich sei bereits eine Woran. Ja, ich wusste, das Pferd würde nicht lange leben. Aber ich habe nichts gesehen, was dich, Darian oder die anderen betrifft. Und bevor du mich fragst …« – ihre Stimme zitterte – »… Nein, ich habe nicht gesehen, dass Sella sterben würde.«
Ravin starrte in die Asche, in der noch einige Funken Glut glommen.
»Und du siehst nichts im Tjärgwald? Nichts über Diolen – und Jolon?«
Als er aufblickte, sah er die steile Falte auf Aminas Stirn. Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust, als würde sie frösteln, ihr Blick war dunkel und zornig.
»Ravin«, sagte sie gepresst. »Ich sage es dir ein letztes Mal. Ich weiß nicht, ob Jolon sterben oder leben wird. Und ich weiß nicht, wo Diolen ist. Wenn ich all das wüsste, dann glaube mir, wäre ich die Erste, die den Mund aufmachen würde, um diesem Albtraum der Ungewissheit endlich ein Ende zu bereiten. Ich habe genug damit zu tun!«
Sie streckte ihm die Handfläche hin. Die drei Sichelmonde leuchteten rot und entzündet auf, doch sie waren beinahe verheilt und begannen wieder ihre alte Form anzunehmen.
»Entschuldige«, murmelte Ravin und senkte den Kopf. »Ich habe es nicht vergessen.«
»Wir haben eines gemeinsam, Ravin«, sagte sie bitter. »Du verlierst deinen Bruder. Und ich verliere mich. Wir beide arbeiten gegen die Zeit. Und die Zukunft hat mir nicht verraten, wer von uns gewinnt.«
A
ls wären sie mit der Überquerung von Skiggas Flussbecken ins Leben zurückgekehrt, stießen sie am nächsten Tag auf die Spuren von Siedlungen. Dann kamen sie an felsigen Wiesen vorbei, die sich im immer flacher werdenden Flusstal erstreckten. Sie entdeckten Herden von kleinen Ziegen mit hellem Fell und langen, schwarzen Aalstrichen auf dem Rücken. Hier und da wuchsen Gruppen von jungen Marjulabäumen, die so gepflanzt worden waren, dass sie die kuppelförmigen Ziegenhäuschen aus weißem Flussstein vor dem Wind schützten.
Gegen Nachmittag sahen sie das Gehöft, zu dem die Ziegen gehörten, und legten eine kurze Rast ein. Ladro nahm einige der Skildis und wanderte hinüber. Kurze Zeit darauf kehrte er mit Käse, Früchten und Tüchern zurück. Die Menschen, die sie hier und da sahen, hatten sonnenverbrannte Haut, dunkles Haar und trugen alle diese lose gebundenen Tücher. Eine Frau mit einem kleinen Mädchen auf der Hüfte winkte ihnen zu. Sie winkten zurück und Ravin durchrieselte bei dieser vertrauten Geste plötzlich ein Gefühl der Geborgenheit. Ein bisschen war es so, als würden sie nach Dantar heimkehren. Nach einer Weile legten sie die Tücher an, wie sie es bei den Einheimischen gesehen hatten. Ravin wählte ein leuchtend grünes Tuch, das angenehm kühl auf seiner Haut lag. Trotzdem fühlte er sich unter dem ungewohnt leichten, weichen Stoff nackt und auf eine unerklärliche Weise schutzlos. Als er bemerkte, wie er unbewusst nach seinem Schleuderriemen tastete, musste er lächeln. Hier ist kein Krieg, dachte er. Keine Erloschenen, keine Horjun, die uns jeden Moment angreifen und töten können. Nur Frieden, grüne Wiesen und eine flirrende, bunte Stadt, die uns erwartet.
Er blieb auf Vaju ein wenig zurück, bis er auf einer Höhe mit Mel Amie ritt. Sie saß auf dem Horjun-Pferd, das ihm vorkam wie eine vorwurfsvolle Erinnerung an Tage voller Kälte und Dunkelheit. Nach wie vor war es schreckhaft, an einigen Stellen am Hals klebte noch getrocknetes Blut. Eine große Schürfwunde zog sich quer über die Schulter, doch es hinkte nicht. Dennoch ließ Mel Amie es langsam gehen und nahm in Kauf, dass ihre Gefährten ihr weit
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