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Im Bann des Fluchträgers

Im Bann des Fluchträgers

Titel: Im Bann des Fluchträgers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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und zu la­chen, und als sie einen Sohn be­ka­men, da war aus dem ver­schlos­se­nen Mann ein fröh­li­cher, la­chen­der Fi­scher ge­wor­den. Zur Fei­er der Ge­burt web­te die Frau ein ro­tes Tuch und ließ es aus dem Fens­ter flat­tern. Das Garn hat­te sie mit Ko­ral­len­sud ge­färbt. Im nächs­ten Jahr stick­te sie als Schmuck ei­ne wei­ße Ran­ke auf den ro­ten Stoff – und im Jahr dar­auf ei­ne wei­te­re. Dan­tar freu­te sich an sei­nem Kind und schwamm oft mit ihm in der Bucht. Mit je­dem Jahr wob sei­ne Frau mehr und mehr wei­ße Ran­ken und Mus­ter in das Tuch sei­nes Soh­nes. Schließ­lich, im zehn­ten Jahr, weh­te das Tuch ganz und gar weiß im Abend­wind. An die­sem Abend wun­der­te sich Dan­tar, denn sei­ne Frau wein­te und hat­te grau­es Haar, so grau wie der Rücken der Wa­le. Doch als er sie frag­te, warum sie trau­rig sei, da schwieg sie und deu­te­te nur auf ei­ne Tru­he, in der sie ih­re Web­sa­chen auf­be­wahr­te. Dann ging sie hin­un­ter zur Bucht. Dan­tar öff­ne­te die Tru­he, aber al­les, was er fand, war ein ro­tes Tuch mit we­ni­gen wei­ßen Ran­ken. Er weck­te sei­nen Sohn und frag­te ihn, was es mit dem Tuch auf sich ha­be. Das Kind ant­wor­te­te schlaf­trun­ken: ›Das ro­te ist dein Le­bens­tuch, Va­ter‹, dreh­te sich um und schlief wei­ter. Rat­los blick­te Dan­tar nach drau­ßen, wo das Mond­licht sich im Was­ser der Bucht spie­gel­te. Und was er da sah, ließ ihn er­schau­ern: Im fah­len Mond­licht glänz­ten die grau­en Rücken un­zäh­li­ger Wa­le, die ru­hig wie bei ei­nem Be­gräb­nis auf et­was war­te­ten. Am Strand stand Dan­tars Frau! An­mu­tig tauch­te sie un­ter, ihr grau­es Haar ver­schwand im kla­ren Meer. Dann durch­brach ein schö­ner schlan­ker Wal die Was­sero­ber­flä­che und ge­sell­te sich zu den an­de­ren. Ei­ne rie­sen­haf­te Wel­le türm­te sich am En­de der Bucht auf, Wol­ken ver­dun­kel­ten den Nacht­him­mel und scho­ben sich vor die Ster­ne. Dan­tars Sohn stöhn­te im Schlaf. Dan­tar hör­te das Lied der Wel­len:
     
    »Was un­ser war, soll un­ser wer­den,
    Nur ein Mensch stirbt gern auf Er­den,
    Schwim­me, See­le, schwim­me schnell,
    Be­vor der Tag wird wie­der hell.«
     
    Dan­tars Ver­stand ar­bei­te­te nicht be­son­ders schnell, aber als er die Wa­le sah, fand sich eins zum an­de­ren und er han­del­te so­fort. Halb tot vor Angst, dass das Meer sei­nen Sohn über die lich­te Gren­ze ho­len könn­te, pack­te er das Le­bens­tuch sei­nes Soh­nes, schnitt sich in die Hand und färb­te das wei­ße Tuch mit sei­nem ei­ge­nen Blut, bis es rot war. Die Wa­le peitsch­ten in der Bucht, hoch schlu­gen die Wel­len auf, doch der Sturm leg­te sich und Dan­tars Sohn er­wach­te an dem strah­len­den, wol­ken­lo­sen Mor­gen. Die Wa­le wur­den seit­dem nie wie­der ge­se­hen. Die Mut­ter des Soh­nes schwamm mit ih­nen un­ter Kla­ge­ge­sang da­von. Dan­tar und sein Sohn aber leb­ten noch lan­ge und grün­de­ten die Stadt. Man sagt, dass Dan­tars Nach­fah­ren halb dem Was­ser ent­stam­men. Und noch heu­te flat­tern die Tü­cher als Zei­chen, dass die Men­schen in Dan­tar zur Hälf­te ein Ge­schenk des Mee­res sind und ih­re See­len nach ih­rem Tod ins Was­ser zu­rück­keh­ren. Oft sieht man, be­vor je­mand stirbt, die Wa­le, die als To­des­bo­ten ge­dul­dig in der Bucht war­ten.«
    »Und Wa­le wer­den, so ver­mu­te ich, seit­her nicht mehr ge­jagt.«
    »O nein. Die Men­schen ver­eh­ren sie. Schließ­lich sind es ih­re Ah­nen.«
    »Und ich wür­de es tau­send Mal lie­ber mit ei­nem Wal auf­neh­men, als noch ein ein­zi­ges Mal über Skig­gas Be­cken zu schwim­men.«
    Ami­na wur­de bei die­ser Er­in­ne­rung wie­der blass und be­fühl­te ih­re auf­ge­schürf­ten und ge­schwol­le­nen El­len­bo­gen.
    »Ich konn­te nichts tun«, sag­te sie lei­se. »Wir kön­nen froh sein, dass Dari­an den Spie­gelzau­ber er­lernt hat. Er scheint nicht so un­ge­schickt zu sein, wie ich an­fangs glaub­te.« Sie zwin­ker­te Ra­vin zu. »Viel­leicht ha­be ich ihn ja un­ter­schätzt und er ist wirk­lich ein Shan­jaar?«
    Ra­vin lach­te nicht.
    »Ami­na?«
    »Ja?«
    »Du wuss­test be­reits, dass das Pferd ster­ben wür­de, nicht wahr? Schon als du ihm kei­nen Na­men ge­ben

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