Im Bann des Fluchträgers
und zu lachen, und als sie einen Sohn bekamen, da war aus dem verschlossenen Mann ein fröhlicher, lachender Fischer geworden. Zur Feier der Geburt webte die Frau ein rotes Tuch und ließ es aus dem Fenster flattern. Das Garn hatte sie mit Korallensud gefärbt. Im nächsten Jahr stickte sie als Schmuck eine weiße Ranke auf den roten Stoff – und im Jahr darauf eine weitere. Dantar freute sich an seinem Kind und schwamm oft mit ihm in der Bucht. Mit jedem Jahr wob seine Frau mehr und mehr weiße Ranken und Muster in das Tuch seines Sohnes. Schließlich, im zehnten Jahr, wehte das Tuch ganz und gar weiß im Abendwind. An diesem Abend wunderte sich Dantar, denn seine Frau weinte und hatte graues Haar, so grau wie der Rücken der Wale. Doch als er sie fragte, warum sie traurig sei, da schwieg sie und deutete nur auf eine Truhe, in der sie ihre Websachen aufbewahrte. Dann ging sie hinunter zur Bucht. Dantar öffnete die Truhe, aber alles, was er fand, war ein rotes Tuch mit wenigen weißen Ranken. Er weckte seinen Sohn und fragte ihn, was es mit dem Tuch auf sich habe. Das Kind antwortete schlaftrunken: ›Das rote ist dein Lebenstuch, Vater‹, drehte sich um und schlief weiter. Ratlos blickte Dantar nach draußen, wo das Mondlicht sich im Wasser der Bucht spiegelte. Und was er da sah, ließ ihn erschauern: Im fahlen Mondlicht glänzten die grauen Rücken unzähliger Wale, die ruhig wie bei einem Begräbnis auf etwas warteten. Am Strand stand Dantars Frau! Anmutig tauchte sie unter, ihr graues Haar verschwand im klaren Meer. Dann durchbrach ein schöner schlanker Wal die Wasseroberfläche und gesellte sich zu den anderen. Eine riesenhafte Welle türmte sich am Ende der Bucht auf, Wolken verdunkelten den Nachthimmel und schoben sich vor die Sterne. Dantars Sohn stöhnte im Schlaf. Dantar hörte das Lied der Wellen:
»Was unser war, soll unser werden,
Nur ein Mensch stirbt gern auf Erden,
Schwimme, Seele, schwimme schnell,
Bevor der Tag wird wieder hell.«
Dantars Verstand arbeitete nicht besonders schnell, aber als er die Wale sah, fand sich eins zum anderen und er handelte sofort. Halb tot vor Angst, dass das Meer seinen Sohn über die lichte Grenze holen könnte, packte er das Lebenstuch seines Sohnes, schnitt sich in die Hand und färbte das weiße Tuch mit seinem eigenen Blut, bis es rot war. Die Wale peitschten in der Bucht, hoch schlugen die Wellen auf, doch der Sturm legte sich und Dantars Sohn erwachte an dem strahlenden, wolkenlosen Morgen. Die Wale wurden seitdem nie wieder gesehen. Die Mutter des Sohnes schwamm mit ihnen unter Klagegesang davon. Dantar und sein Sohn aber lebten noch lange und gründeten die Stadt. Man sagt, dass Dantars Nachfahren halb dem Wasser entstammen. Und noch heute flattern die Tücher als Zeichen, dass die Menschen in Dantar zur Hälfte ein Geschenk des Meeres sind und ihre Seelen nach ihrem Tod ins Wasser zurückkehren. Oft sieht man, bevor jemand stirbt, die Wale, die als Todesboten geduldig in der Bucht warten.«
»Und Wale werden, so vermute ich, seither nicht mehr gejagt.«
»O nein. Die Menschen verehren sie. Schließlich sind es ihre Ahnen.«
»Und ich würde es tausend Mal lieber mit einem Wal aufnehmen, als noch ein einziges Mal über Skiggas Becken zu schwimmen.«
Amina wurde bei dieser Erinnerung wieder blass und befühlte ihre aufgeschürften und geschwollenen Ellenbogen.
»Ich konnte nichts tun«, sagte sie leise. »Wir können froh sein, dass Darian den Spiegelzauber erlernt hat. Er scheint nicht so ungeschickt zu sein, wie ich anfangs glaubte.« Sie zwinkerte Ravin zu. »Vielleicht habe ich ihn ja unterschätzt und er ist wirklich ein Shanjaar?«
Ravin lachte nicht.
»Amina?«
»Ja?«
»Du wusstest bereits, dass das Pferd sterben würde, nicht wahr? Schon als du ihm keinen Namen geben
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