Im Bann des Fluchträgers
in seiner Brust spürte, rührte diesmal nicht von der gebrochenen Rippe her.
Darian streckte die Hand Richtung Feuer aus. Die magische Flamme löste sich aus ihrer Umarmung mit den weltlichen Flammen und sprang in seine Hand. Seine Hand leuchtete rot und so hell, dass sie die Umrisse seiner Fingerknochen erahnen konnten. Nach einer Weile gab er die Flamme frei. Sie rückten enger zusammen und blickten auf die Karte.
»Wenn sie noch stimmt, müssten wir übermorgen Dantar erreichen«, stellte Darian fest. »Der Fluss führt uns direkt hin. Von der Meeresmündung aus müsste die Stadt bereits in Sichtweite sein.«
Ravin betrachtete das Gewirr von roten Linien, die wie ein verschlungener Knoten aussahen.
»Dantar hat die Form eines Doppelkreises«, stellte er fest. »Ein Teil liegt an der Küste und der andere Teil ragt ins Landesinnere.«
Die Linien begannen zu verblassen.
»Ich weiß nicht, ob mich noch jemand auf das Wasser bringt«, sagte Mel Amie und stocherte mit einem Zweig in der Glut.
Amina schwieg. Später, als das Feuer schon lange heruntergebrannt war, erwachte Ravin aus einem unruhigen Schlaf und entdeckte Amina. Sie stand bei ihrem Banty und fuhr ihm gedankenverloren durch das Stirnhaar. Ravin trat zu ihr. Sie hörte seinen Schritt, drehte sich zu ihm um und lächelte ihm zu.
»Komm zur Glut«, sagte er. »Es ist kühl geworden.«
Gemeinsam betrachteten sie die schlafenden Gesichter ihrer Freunde, Ladros zusammengezogene Augenbrauen und Mel Amies Gesicht mit der tiefen Zornesfalte. Sogar im Schlaf sah sie kampfbereit und mürrisch aus.
»Kennst du Dantar?«, fragte Ravin nach einer Weile.
»Nur aus Geschichten«, antwortete Amina. »Bei uns sagt man, wenn der Berg ein Mann wäre, dann wäre die Stadt Dantar seine tanzende, lachende, untreue Geliebte, die er einst liebte und die er nun hasst, weil sie jeden Tag einen anderen küsst. Und dennoch kann er nicht von ihr lassen und ist versteinert vor Gram und Sehnsucht. Meine Mutter erzählte mir, dass sie als kleines Mädchen einmal in Dantar gewesen ist. Sie beschrieb mir weiß bemalte Häuser, aus deren Fenstern an Festtagen lange rot und weiß bestickte Tücher hängen. Jede Familie hat ihre eigenen Symbole und Webmuster. Zu einem Begräbnis hängen die Menschen weiße Tücher auf, zur Geburt sind die Tücher durch und durch rot gewebt. Das Meer sieht die Farben und weiß, welche Seelen es über die lichte Grenze spülen darf und welche nicht.«
Ravin lächelte.
»Das ist eine schöne Geschichte.«
Aminas Augen funkelten im Schein der Glut.
»Nicht halb so schön wie die, wie es dazu kam, die Tücher zu verwenden.«
Sie zog die Arme enger an den Körper. Ihre Augen leuchteten.
»Vor mehr als tausend Jahren lebte ein Fischer am Meeresufer, in der Bucht, wo heute die Stadt steht. Er hieß Dantar und lebte alleine, denn er war mürrisch und liebte nur das Meer. Weit und breit galt er als der beste Waljäger. Eines Tages ruderte er auf seiner Jagd viel weiter hinaus als je zuvor. Plötzlich tauchte vor ihm der schönste Wal auf, den er je gesehen hatte. Doch jedes Mal wenn er die Meeresoberfläche durchbrach und Dantar seinen Speer zückte, schob sich eine Wölke vor den Mond, und als es wieder hell wurde, war der Wal verschwunden. Gegen Morgen tauchte er ganz ab. Dantar musste aufgeben und den langen Weg zurückrudern. Wütend und durstig kam er zum Strand und fand in der Nähe seiner Hütte eine Frau, die in der Bucht schwamm. Dantar wollte sie vertreiben, doch sie lachte nur und kam am nächsten Tag wieder. Schließlich gewöhnte sich der mürrische Dantar an sie und gab den Walfang auf. Er fischte nur noch Fische, die er in der Bucht einholen konnte, und lebte mit der Frau zusammen. Mit der Zeit gefiel sie ihm immer besser, er lernte zu sprechen
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