Im Bann des Fluchträgers
einander.«
Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, das erste seit vielen Monden, wie ihm schien. Gerne hätte er es in der leeren Phiole eingefangen und wie eine kostbare Erinnerung aufbewahrt.
»Das ist wahr, Ravin. Und trotzdem ist es mir lieber, wir streiten uns, als dass wir uns nie wiedersehen!« Sie sah auf den Boden und sprach hastig weiter, als wollte sie ihn daran hindern, etwas zu sagen. »In den vergangenen Tagen habe ich dich gesucht, weil ich dir eine Geschichte erzählen wollte.«
Verwirrt sah er sie an. Sie bemerkte sein Erstaunen und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dann wurde sie wieder ernst.
»Vor langer Zeit begegneten sich am Fuße der Feuerberge ein Reiter und eine Woran. Der Reiter lebte am Fuße des Berges, wo er von Lagerplatz zu Lagerplatz zog. Er war geschickt und flink – und so mutig und dickköpfig, dass er den Tod schon zu oft gesehen hatte. In den Bergen lebte auf der dunklen Seite des Mondes eine Woran. Eine jähzornige Woran, die töten konnte, doch nicht wollte, die eine scharfe Zunge hatte und ein verwundbares Herz. Wenn sie sich trafen, sagte sie dies und er antwortete das – und dann ritt er wütend in seinen Wald und sie zog sich grollend in ihre Berge zurück. So unterschiedlich sie auch waren, erkannten sie doch bald, dass sie ohne einander nicht mehr leben wollten. Also gingen sie zum Hüter der Feuerberge und fragten ihn um Rat. ›Als es die Menschen noch nicht gab‹, sprach er, –›waren auf der Erde nur Wald und Fels, Feuer und Wasser. Das Wasser sah das Feuer und verliebte sich und auch das Feuer fand Gefallen am Wasser. Sie umkreisten einander und zweifelten, ob sie zusammenkommen könnten. Das Feuer fürchtete, das Wasser könnte es löschen, das Wasser hatte Angst, zu verdunsten, wenn das Feuer ihm zu nahe käme. So umtanzten sie einander voller Angst und Sehnsucht, kamen sich nah, verletzten sich, doch immer wieder floss das Wasser auf die Erde zurück und immer flackerte das Feuer wieder auf. Schließlich kamen sie zum Ältesten der Felsen und fragten um Rat. Und der Felsen dachte nach. Nach vielen Jahren fiel ihm eine Lösung ein. Aus Jalafrucht, Sand und Holz formte er die Hülle eines Menschen, die er zwischen das Feuer und das Wasser auf die Lichtung legte. Der Felsen sprach: Nun berührt ihn ohne ihm zu schaden. Falls euch dies gelingt, werdet ihr euch umfangen können. Das Feuer zweifelte: Wenn ich ihm nahe komme, wird er verbrennen. Das Wasser sagte: Wenn ich ihn umspüle, wird er fortgeschwemmt. Doch dann beschlossen sie ihn gleichzeitig zu berühren. Feuer und Wasser wagten den Sprung – und die rote Glut des Feuers und die fließende Kühle des Wassers vereinten sich und wurden zu Blut! Der Mensch, den der Felsen erschaffen hatte, erwachte zum Leben. Seitdem leben Feuer und Wasser gemeinsam in jedem Menschen. ‹
›Also‹, schloss der Hüter der Feuerberge. – ›Wenn Feuer und Wasser sich fanden, warum sollten ein Reiter und eine Woran es nicht können? Wagt den Sprung!‹«
»Und was taten sie ?« , fragte Ravin.
Sie lächelte, trat zu ihm – und legte die Arme um ihn. Ein Schwarm von aufgeschreckten Vögeln schien in seiner Brust aufzuflattern.
»Sie umarmten sich und wagten den Sprung«, flüsterte sie.
Dunkles Woranhaar fiel über seine Hände, als er mit klopfendem Herzen ihre Umarmung erwiderte.
»Und sie haben sich nicht mehr verletzt?«
»O doch«, sagte sie ernst. »Noch oft. Aber sie fanden immer wieder zusammen.«
Aus irgendeinem Grund musste er über diese Antwort lachen. Ihre Augen flackerten in blauer Glut, ein wenig erinnerten ihn die Woranaugen an Naja. Draußen hatte ein heftiger Herbstregen eingesetzt. Gemeinsam blickten sie auf die überschwemmten Ufer und die sterbenden Rauchsäulen. Behutsam
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