Im Bann des Fluchträgers
wissen, dass sie nun an ihrem ersten Ziel waren, stellte sich nicht ein. Stattdessen fühlte er sich leer und auf eine schwere Weise traurig. Zu traurig um zu weinen.
Die anderen schwiegen.
»Wir müssen den Pferden eine Pause gönnen«, sagte schließlich Mel Amie.
In der Nähe fanden sie eine Gruppe windschiefer, niedriger Bäume.
»Ich halte zuerst Wache«, verkündete Ravin. »Ich habe eine ganze Zeit lang auf dem Pferderücken geschlafen.«
»Das ist der beste Vorschlag, den ich seit Wochen gehört habe«, seufzte Mel Amie und zog ein verwittertes Aststück zu sich heran, das sie als Stütze unter ihren Kopf schob.
Ravin setzte sich auf die Wiese und betrachtete die Lichter von Dantar. Er bemerkte auch Lichtpunkte auf dem Meer, die um eine dunkle Mitte huschten. Dann wieder blieben sie für lange Zeit still und bewegten sich mit dem Schatten ein Stück voran. Die Schatten lagen ruhig auf dem Wasser, nur manchmal zitterten sie und schienen zu schwanken. Ravin kniff die Augen zusammen und erinnerte sich an die wärmeren Sommertage im Tjärgwald, als er mit Finn Fische fing. Sie warfen das Netz aus und warteten, bis die Dunkelheit die Bilder von der Spiegelfläche des Sees fortgewischt hatte und die Träume an deren Stelle traten. Dann entzündete Finn seine Fackel. »Die Fische streben zum Feuer«, waren seine Worte. »Das liegt in der Natur – bei den Fischen und den Menschen, den Ranjögs, den Ponys – alle streben dorthin, wo die Gefahr lacht und lockt.« In solchen Nächten hatten sie viel Fisch ins Lager gebracht.
Trotz der warmen Brise, die ihn umfing, sehnte sich Ravin an den kühlen See in seinem Wald. Er sehnte sich danach, zu frösteln und die kühle Ufererde zu riechen. Er sehnte sich nach dem schweren feuchten Duft von Moos und Sommerregen – und er sehnte sich nach Finns Stimme. Tief unter ihm fuhren die Fischer von Dantar in ihren kleinen Schattenbooten über das schwarze Wasser und schwenkten die Fackeln.
Neben ihm knackte es. Aminas Augen glänzten gespenstisch hell im Schein der Stadt. Wieder ertappte Ravin sich dabei, wie erleichtert er war den Blick abwenden zu können, doch er schämte sich zuzugeben, dass Aminas Gesicht ihm Angst machte. Im Licht des Mondes wirkte es sogar, als läge eine Schattenhand mit fünf dünnen Fingern auf ihrem Gesicht. Legte der Tod ihr bereits die Hand auf die Stirn? Zum ersten Mal gestand Ravin sich seine Angst ein, dass sie die Reise nicht überleben würde.
»Hast du dich ausgeruht’?«, fragte er.
»Ich habe geschlafen. Und was ich gesehen habe, gefällt mir nicht«, flüsterte sie. »Die Zukunft sagt mir, dass die lichte Grenze immer näher kommt.«
»Wir waren schon so oft der Grenze nahe«, erinnerte er sie und kämpfte das jähe Erschrecken nieder, das vor ihm aufleuchtete wie Skiggas Auge.
Sie warf ihm einen Blick zu, aus dem er nicht herauslesen konnte, ob sich Spott oder Trauer darin spiegelte, dann wandte sie sich wieder dem Meer zu.
»Möge Elis dich träumen lassen«, sagte sie leise.
Ravin ging zu den anderen und legte sich neben Darian ins warme Gras.
Das Bewusstsein, dass er sein Messer fest in seiner Rechten hielt und die Verzierungen sich tief in seine Finger gruben, weckte ihn, bevor er wahrnehmen konnte, was ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Überrascht sah Amina ihn an. Sie hatte die Hände erhoben und war gerade dabei, einen Bannkreis um ihren Lagerplatz zu ziehen.
»Oh, haben sie dich geweckt?«, flüsterte sie.
Er blinzelte verwirrt.
»Wer soll mich geweckt haben?«
»Wer soll mich geweckt haben?«, echote seine Stimme in der Dunkelheit.
»Die Pameldus-Gasse ist gleich hinter dem Pferdemarkt!«
»Wenn ihr mich fragt, das Tau war von Anfang an beschädigt …«
»Ich zahle dir fünf, wenn ich alle drei bekomme …«
Ravin setzte sich auf,
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