Im Bann des Fluchträgers
als er Iril, den königliche Stall- und Rossmeister, erkannte. Er grüßte Ravin mit einem Nicken und ließ seinen Blick fachmännisch über Vajus Hals und Beine gleiten. Ravin konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er prüfte, ob dem Regenbogenpferd kein Schaden zugefügt worden war. Endlich schien Iril zu dem Schluss gekommen zu sein, dass es Vaju gut ergangen war, und er lächelte Ravin kurz zu.
Der Nieselregen perlte an den Regenbogenpferden wie an einem Spiegel ab. Die Wiesen, über die sie ritten, waren nass, die Ponys rutschten und schlitterten, wenn es einen steilen Weg bergab ging. Ravin ertappte sich dabei, wie er immer wieder zu den Südbergen blickte und das Land absuchte, nach einem Augenpaar, nach einer fliehenden Gestalt mit lichtlosem schwarzem Haar. Er stellte sich vor, wie die Woran zwischen den Felsen nach oben kletterte, immer weiter nach oben, bis dorthin, wo die Bäume aufhörten zu wachsen und das Grün matt und trocken wurde. Ob sie von dort aus, wo sie jetzt war, in das Tal herunterblickte?
»Hör auf dich zu quälen«, sagte Darian neben ihm. »Nichts bringt sie zurück.«
Ravin senkte ertappt den Kopf.
»Ich weiß«, antwortete er ungehalten. »Ich habe verstanden, dass es Amina nicht mehr gibt. Aber soll ich an Jolon denken und an Finn und Dila – und an all die anderen, denen ich erklären muss, dass ich Jolon nicht helfen kann?«
Darian schwieg.
Es war bereits Mittag, als die ersten Alschbäume in Sicht kamen. Plötzlich sah Ravin, wie Dondolo sich aufbäumte und einen Satz zur Seite machte. Reflexartig griff er zu seiner Schleuder. Am Waldrand war nichts zu sehen. Vaju scheute, Dondolo bockte und hätte Darian um ein Haar abgeworfen. Die anderen Pferde blieben ruhig. Ravin glitt aus dem Sattel, band Vaju die Zügel hoch und ließ sie laufen. Darian tat es ihm nach. Ratlos standen sie auf der Wiese und beobachteten, wie die Pferde mit angelegten Ohren davonpreschten, mitten in den Wald hinein. Sie schimmerten durch die dunklen Baumstämme, bis sie endlich, an einer Lichtung angelangt, stehen blieben und mit den Nasen durch das hohe Gras schnoberten. Ravin erkannte etwas Helles im Grün. Hilfe suchend sah er sich nach Darian und Iril um, die ebenfalls auf den hellen Fleck starrten. Iril war es, der schließlich zu Vaju trat und einen Blick in das hohe Gras warf.
Ravin sah, wie der große Mann schwankte. Ein Geräusch kam aus seiner Kehle, das er erst im zweiten Moment als unterdrücktes Schluchzen erkannte. Dann sank der königliche Stall- und Rossmeister auf die Knie.
»Das dürfen sie nicht tun!«, schrie er. »Das … das durften sie nicht!«
Darian war zu ihm getreten und wurde ebenfalls blass. Tränen rannen über Irils Gesicht und versickerten in seinem schwarzen Bart. Ravins Knie waren weich, es war, als würde er sich selbst dabei zusehen, wie er zu den Pferden trat und seinen widerstrebenden Blick auf das richtete, was dort im Gras lag.
Das Regenbogenpferd lag verdreht, als hätte es einen schmerzhaften Sturz erlitten. Die Augen weit aufgerissen, die Beine an den Körper gepresst wie im Krampf lag es da. Schaum troff aus seinem Maul und benetzte die Grashalme. Über den makellosen Hals floss Blut aus einer tiefen Schwertwunde, hinterließ eine Spur von runden Blutperlen auf dem Fell und tränkte den Boden. Die verkrusteten Wundränder deuteten darauf hin, dass das Pferd bereits lange, viel zu lange in Qualen auf dem Waldboden lag. Iril streckte die Hände aus und bettete den Kopf so, dass er den Blutfluss stillen konnte. Ravin fuhr das Stöhnen des Pferdes durch Mark und Bein. Noch einmal erzitterte es, dann atmete es mit einem letzten rasselnden Laut aus und war ruhig.
Ein Rascheln hinter ihnen, dann trat die Königin auf die Lichtung. An ihrem Gesicht konnte Ravin nicht
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