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Im Bann des Fluchträgers

Im Bann des Fluchträgers

Titel: Im Bann des Fluchträgers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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ab­le­sen, ob das Bild, das sich ihr bot, sie eben­so er­schüt­ter­te wie ihn und Dari­an. Sie be­trach­te­te das to­te Pferd lan­ge und sehr ge­nau.
    »Wenn sie das tun«, sag­te sie, »wenn sie sich an den Tjärg­pfer­den ver­grei­fen, dann sind sie zu al­lem fä­hig.«
    Iril wisch­te sich die Trä­nen ab und sah sich um.
    »Die Her­de muss in der Nä­he sein. Sie las­sen kei­nen der ih­ren al­lein.«
    »Es sei denn, sie wer­den ge­jagt«, sag­te Dari­an und deu­te­te auf die Spu­ren auf der Lich­tung, die sie jetzt erst be­merk­ten. Vie­le Pfer­de war hier durch­ge­trie­ben wor­den, tief hat­ten sich die Ab­drücke ih­rer ge­spal­te­nen Hu­fe in den Bo­den ge­gra­ben. Da­zwi­schen ent­deck­te Ra­vin mit Schau­dern einen mes­ser­schar­fen Halb­kreis und zer­schnit­te­nes Wur­zel­werk.
    »Es wa­ren Hor­jun«, stell­te er fest. »Zu­min­dest Hor­jun-Pfer­de.«
    Die Kö­ni­gin dreh­te sich ruck­ar­tig um. An ih­rem Schritt er­kann­te Ra­vin, dass sie wü­tend war, sehr wü­tend.
    »Ga­lim!«, rief sie und ih­re Stim­me war so schnei­dend, dass der an­ge­spro­che­ne Wäch­ter mehr von sei­nem Pferd fiel als sprang. »Dei­ne Vor­rats­fla­sche!«
    Der Wäch­ter reich­te ihr das Le­der­ge­fäß, das sie öff­ne­te und um­dreh­te, so­dass al­les Was­ser dar­in her­aus­floss. Als die Fla­sche leer war, ging sie zu dem to­ten Pferd. Ra­vin sah ver­wun­dert, dass sie wie­der nicht wie ei­ne Kö­ni­gin wirk­te. In die­sen Au­gen­bli­cken er­in­ner­te sie eher an Am­gar, sei­ne Lehr­meis­te­rin, die ihm als Hor­jun das Kampfrei­ten bei­ge­bracht hat­te. Für einen Mo­ment wur­de ihm klar, dass dies nicht der ers­te Krieg war, den die Kö­ni­gin kämpf­te.
    Sie knie­te ne­ben dem Pferd nie­der und hielt das Ge­fäß an sei­nen Hals. Der Blut­fluss war bei­na­he schon ver­siegt, doch sie drück­te Blut aus der Wun­de, das über ih­re Fin­ger floss, und fing es ge­schickt auf. Als die Fla­sche voll war, ver­kork­te sie sie und strich dem Pferd in ei­ner Ges­te zärt­li­cher Be­hut­sam­keit über die Mäh­ne.
    »Hier«, sag­te sie zu Iril. »Of­fen­sicht­lich wol­len sie ih­ren Krieg auch ge­gen die Naj füh­ren. Nun, das sol­len sie ha­ben. Su­che die Her­de und ru­fe die Naj, wenn es Zeit ist.«
    Iril wisch­te sich mit dem Är­mel über die Na­se und nahm die Fla­sche ent­ge­gen. Ra­vin wech­sel­te einen düs­te­ren Blick mit Dari­an. Bei­de wuss­ten, dass die­ses Bild, das sie vor sich sa­hen, der Be­ginn des Krie­ges ge­gen Ba­dok und Dio­len war: die Kö­ni­gin, Wut in den Au­gen, mit blu­ti­gen Hän­den; Iril, rie­sig, bleich, mit ver­wein­tem Ge­sicht; und zwi­schen ih­nen das ers­te sinn­lo­se Op­fer des Krie­ges.
    Die Kö­ni­gin hol­te Luft und wand­te sich zu ih­nen um.
    »Dari­an, Ra­vin, ihr rei­tet wei­ter zum ge­hei­men La­ger. Su­che dei­ne Leu­te und brin­ge sie und dei­nen Bru­der, so schnell du kannst, zur Stein­burg. Ver­schanzt euch im Nord­flü­gel der Burg und war­tet dort auf uns!«
     
    E
    s war be­reits Nacht, als sie Rast mach­ten. Ra­vin lehn­te sich an sei­nen Sat­tel und schloss die Au­gen. Bald wür­den sie im ge­hei­men La­ger sein. Ob­wohl er seit ei­nem Som­mer nicht mehr im Wald ge­we­sen war, fiel es ihm nicht schwer, den Weg zu fin­den. Weh­mü­tig er­in­ner­te er sich an den Tag sei­nes Ab­schieds. Wie­der sah er Jo­lon vor sich und die Ge­sich­ter von Finn, Di­la und all den an­de­ren, die ihm hoff­nungs­voll nach­blick­ten, als er zu Gis­lans Burg auf­brach. Doch beim Ge­dan­ken, sie wie­der­zu­se­hen, stell­te sich Bit­ter­nis statt Freu­de ein. Nicht nur aus Angst, ih­nen mit lee­ren Hän­den ge­gen­über­tre­ten zu müs­sen, nein, er ver­miss­te auch das Ge­fühl, nach Hau­se zu kom­men. Zwar er­war­te­ten ihn die­sel­ben Men­schen, doch wa­ren die Zeit und der Krieg über sei­ne Hei­mat acht­los hin­weg­ge­gan­gen. Sein Zu­hau­se, das wuss­te Ra­vin, exis­tier­te nur noch in sei­ner Er­in­ne­rung. Und das, was er mor­gen vor­fin­den wür­de, war ei­ne Hei­mat, die nur noch aus Ge­gen­wart und Zu­kunft be­stand, so un­ge­wiss und flüch­tig, wie je­der Tag sei­ner Rei­se es ge­we­sen war. Noch nie war Ra­vin so be­wusst ge­wor­den, wie

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