Im Bann des Fluchträgers
zerbrechlich sein friedliches Leben im Wald gewesen war. Er hatte gedacht in einer steinernen Burg zu leben und stellte nun fest, dass die Wände aus Luft und das Dach aus Wolken gemacht waren, die jeder Sturmwind hinwegfegen konnte, ihn und alle Menschen im Wald schutzlos dem Gewitter ausliefernd.
Er wischte sich die Tränen vom Gesicht und schniefte. Der Wald wurde dichter, einige Pfade kannte Ravin bereits, bei anderen musste er sich auf die Zeichen verlassen, die er an den Ästen fand. Auf der letzten Strecke mussten sie absteigen und die Pferde unter den tief hängenden Zweigen hindurchführen. Da, wo das Lager gewesen war, befand sich eine leere Lichtung. Die Feuerstellen waren noch erkennbar, auch die Plätze, auf denen die Zelte gestanden und die Ponys gegrast hatten.
Darian war an Ravins Seite getreten.
»Sie scheinen erst vor kurzer Zeit aufgebrochen zu sein«, sagte er. Ravin fiel ein Stein vom Herzen, seltsamerweise musste er lachen, obwohl ihm zum Weinen zumute war. Darian hatte Recht. Sie waren einfach aufgebrochen – nichts deutete daraufhin, dass ein Überfall oder ein Kampf stattgefunden hatte.
Es sah nicht so aus, als wäre das Lager schon lange aufgelöst worden. Rechts von ihm erkannte er den Abdruck eines großen Zeltes im Gras, vielleicht war es das, in dem Jolon auf ihn gewartet hatte. Und vor ihm, unter einem Alschbaum, stand ein großer Versammlungstisch aus schartigem Holz. Selbst die Klötze, die als Stühle dienten, waren dort, so als hätten die Menschen den Tisch lediglich für einige Momente verlassen.
Ravin senkte den Kopf. Und dennoch mischte sich in die brennende Enttäuschung ein anderes Gefühl, ein Quäntchen Erleichterung, wie er beschämt feststellte. Inzwischen hatten auch Ladro, Mel Amie und die anderen das Lager betreten und schauten sich verblüfft um.
»Wo sind sie hin?«, fragte Ladro.
»Vielleicht sind sie zu Gislans Burg aufgebrochen und wir haben sie verpasst?«, vermutete Mel Amie.
Doch Ravin schüttelte den Kopf und ging zielstrebig auf den Alschbaum zu. Mit offenen Mündern beobachteten seine Gefährten, wie er sich zum niedrigsten Ast hangelte und sich von dort aus mit ein paar gezielten Griffen zur Baumkrone hinaufschwang. An einem Astloch angekommen griff er hinein und zog ein Stück Leder hervor. Finns vertraute Zeichenschrift leuchtete ihm entgegen wie ein warmes Willkommenslächeln. Ein Blatt war auf das Leder gemalt, ein Alschblatt, und drei steile Zacken. Ravin lachte und sprang vom Baum.
»Ich weiß, wo sie sind«, sagte er und rannte mit dem Lederlappen zu Darian und Ladro hinüber. »Das Alschblatt bedeutet, dass sie in Richtung Norden geritten sind. Über den Alschhain. Und die drei Zacken stehen für die drei Türme, die die Steinburg einst hatte. Sie haben sich also in Sicherheit gebracht.«
»Und nun?«, fragte Darian.
»Na, was wohl? Wir reiten sofort hinterher!«, sagte Ladro barsch. Alle Blicke richteten sich auf ihn. Ladro wurde rot und senkte den Kopf. »Ich meine, weil die Königin uns dort erwartet«, murmelte er.
»Ladro hat Recht«, meinte Mel Amie mit fester Stimme.
Ravin überlegte.
»Wenn die Lager bereits ihre Plätze verlassen, dann heißt es, dass sie gewarnt wurden oder bereits von der Gefahr wussten. Jemand sollte der Königin Bescheid geben.«
»Der Meinung bin ich nicht«, sagte Mel Amie ruhig. Und beim Blick auf Ladros Gesicht wusste Ravin, dass er den Freund nicht würde überreden können. Darian war ebenso sprachlos wie Ravin. Als sie zu den Pferden zurückgingen, sagte niemand ein Wort. Verstohlen betrachtete Ravin Ladro, als er auf das Banty stieg. Er sah bedrückt aus. Als sich Ravin während des Ritts nach ihm umdrehte, bemerkte er, dass er ein Stück zurückgeblieben war und offensichtlich nach
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