Im Bann des Fluchträgers
spüren. Schmerzhaft gellten die Echos der Hallgespenster in seinen Ohren. Sella lag immer noch in tiefem Schlaf und hörte nichts. Vor ihr stand Darian – ebenfalls ein Schwert an der Kehle. Ravin bemerkte, wie er seine Hand losmachte um Sella mit einer Berührung zu wecken.
»Fass sie nicht an!«, fauchte das wilde Mädchen.
Sein Bewacher drehte ihm den Arm auf den Rücken, sodass er aufstöhnte.
»Ihr seid Badok, ja?«, fragte der Krieger.
»Die Badok haben Sella getötet!«, jammerte das Mädchen mit einer Stimme, die Ravin durch Mark und Bein ging. »Bringt sie um!«
Schwerter blitzten im Mondlicht. Ravin krampfte die Hand um die Schleuder. In diesem Moment erwachte Sella. Schlaftrunken richtete sie sich auf und blickte verwirrt auf die Szene auf der Lichtung. Einen Wimpernschlag später war sie auf den Beinen und stürzte zu Darian. Ohne zu zögern befreite sie ihn einfach aus dem Griff der beiden Männer, die ihn erstaunt freigaben. Dann drehte sie sich zu dem alten Krieger um und machte eine Geste.
»Sella sagt, dass sie Freunde sind«, erklärte er. »Zumindest der da.«
»Ich gehöre zu ihm«, versicherte Ravin schnell.
Langsam, viel zu langsam, entfernte sich das Schwert und verschwand mit einem schleifenden Geräusch in einer Lederhülse am Gürtel des Kriegers.
»Nehmt sie mit!«, rief er. »Ins Lager!«
Die junge Frau rannte zu Sella und umarmte sie. Im Mondlicht konnte Ravin erkennen, dass ihr Haar ungebändigt lang und schwarz war. Endlose Erleichterung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.
»Trödel nicht herum, wir müssen los«, sagte einer der Krieger.
Die Frau nickte und lachte.
»Das weiß ich selbst, du Holzklotz!«
Sie drückte Sella noch einmal an sich, küsste sie auf die Wange und lief auf Ravin zu. Er erkannte, dass sie tiefblaue Augen hatte, die in ihrem herzförmigen Gesicht groß und strahlend wirkten.
Bevor sie aufstiegen, bestand das Mädchen darauf, ihnen die Augen zu verbinden. Ravin tastete nach dem Sattelriemen und zog sich hinauf. Jemand führte Vaju, was ihr nicht gefiel. Unwillig schüttelte sie den Kopf, doch als Ravin ihr durch die Mähne fuhr, beruhigte sie sich rasch und schritt samtweich und wogend aus. Rechts hinter ihm unterhielt sich Darian mit einem der Krieger. Ravin überlegte, was ihn an diesen Geräuschen so irritierte, bis er darauf kam, dass er nur die Schritte von Vaju und Dondo hörte, andere Schritte waren nicht zu vernehmen – weder von Menschen noch von Tieren. Er versuchte sich daran zu erinnern, ob er Pferde gesehen hatte. Auf der Lichtung hatte er kein einziges entdeckt und offensichtlich waren die Krieger so leise zu Fuß, dass sie sich ohne einen Laut durch den Wald bewegten. Er zuckte zusammen, als er die Stimme des alten Kriegers dicht neben sich hörte.
»Glaubt nicht, dass wir euch für Feinde halten.«
Obwohl er ruhig sprach, klang seine Stimme immer noch rau und zitterte leicht, als sei er auf der Hut.
»Wir müssen vorsichtig sein«, fuhr er leiser fort. »Wenn ihr Sellas Freunde seid, seid ihr bei uns willkommen.«
»Danke. Doch wer seid ihr?«
»Alles ist voller Hallgespenster«, flüsterte der Krieger. »Wartet, bis wir im Lager sind. Ich bin gespannt, wo ihr Sella gefunden habt. Wir fürchteten, sie sei tot oder – schlimmer noch – den Badok in die Hände gefallen!«
Eine kurze Pause folgte. Ravin stellte sich vor, wie der alte Krieger aufmerksam lauschte. Man hörte Knacken und ein fernes Murmeln von Hallgespenstern. Ravin fröstelte.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte jemand rechts von ihm. Die Stimme des alten Kriegers klang wieder hart und angespannt, als er sich an Ravin wandte.
»Könnt ihr mit verbundenen Augen reiten? Ich würde euch die Augenbinde abnehmen, doch ich fürchte nicht um unsere Sicherheit, sondern um
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