Im Bann des Fluchträgers
Ravin schien, als wäre er selbst stumm geworden. Was ihn erstaunte, war, dass er die Worte nicht vermisste.
Nach und nach wichen die Tanistannen kleinen Jalabäumen, die bereits Früchte trugen, bis auch sie schließlich seltener wurden und der Wald in ein lichteres Grün überging. Zum ersten Mal seit vielen Tagen rasteten sie auf einer Lichtung, machten Feuer und rösteten einige Stücke frischer Jalafrucht über den Flammen. Ravin war nach den Tagen, an denen er nur Dörrfleisch und Beeren gegessen hatte, ausgehungert. Erschöpft lehnte er an einem breiten, moosbewachsenen Baum am Rand der Lichtung und beobachtete die Glut. Sella hatte sich bereits vor einer Stunde etwas weiter entfernt zur Ruhe gelegt und war sofort eingeschlafen.
Die Stimmen der Hallgespenster gaben Gesprächsfetzen zum Besten, die sich offenbar um den Verkauf von Leder drehten. Ravin beneidete Sella um ihre Fähigkeit, selbst bei größtem Lärm tief und unerschütterlich schlafen zu können.
»Weißt du«, begann Darian. »Ich frage mich, was es mit diesen Jerriks auf sich hat.«
Ravin gähnte. Die ungewohnte Wärme schläferte ihn ein.
»Es sind Waldmenschen, wie Sella.«
»Ja schon, aber glaubst du, dass sie uns freundlich gesinnt sind?«
»Wie ich sagte – es sind Waldmenschen«, antwortete Ravin und biss herzhaft in das saftige Jalafleisch.
In dieser Nacht träumte Ravin wieder von der Königin. Immer noch stand sie im Thronsaal am Fenster. Er wollte sie ansprechen, doch sie reagierte nicht, stumm sah sie auf das verregnete Tal. Erst als er zu ihr trat, drehte sie sich um. Was er vor sich sah, war nicht das Gesicht der Königin. Es war ein altes Gesicht mit unruhigen Augen. Skaardja, schoss es ihm durch den Kopf. »Du bist weit gereist«, sagte die Frau zu ihm. »Doch finden wirst du mich niemals. Es sei denn, ich finde dich.« – »Du bist in Gislans Burg?«, fragte er. Die Frau lachte. »Nie und nimmer!«
Während sie lachte, veränderte sich ihr Gesicht, Haare sprossen aus ihrem Kinn, sie wuchs in die Höhe – und plötzlich stand Iril, der Stall- und Rossmeister, vor ihm. »Denk daran«, sagte er. »Niemand wird dir das Regenbogenpferd stehlen können.«
Im Schlaf runzelte Ravin die Brauen. Der Traumfalter umtanzte seine Schläfe, doch die Bilder, die er sah, blieben undurchsichtig und ohne Sinn. Immer noch war der Falter da, umflatterte ihn hartnäckig und wanderte hinunter bis zu seiner Nase. Es kitzelte. Ravin riss sich ärgerlich aus seinen wirren Träumen los, blinzelte – und blickte auf eine im Mondlicht blinkende Schwertspitze.
»Hallo Jungchen«, sagte eine dunkle Stimme. Das Schwert wanderte in Richtung Kehle und gab den Blick frei auf zwei stämmige Beine in Hosen aus geflecktem Fell. Mit rasendem Herzen ließ Ravin seinen Blick vorsichtig nach oben wandern. Ein riesenhafter Krieger mit grauem Haar füllte den Nachthimmel aus. Er duldete es, dass Ravin sich langsam aufrichtete – die Schwertspitze folgte seiner Kehle wie ein wachsamer Hund. Der Mond war hinter den Wolken hervorgekommen. Aus den Augenwinkeln konnte Ravin etwa zwanzig Menschen erkennen, die reglos auf der Lichtung standen. Er versuchte zu schlucken und etwas zu sagen, aber sein Mund war ausgedörrt. Seine Augen brannten, doch er wagte nicht einmal zu zwinkern. Plötzlich löste sich eine der Gestalten aus der Gruppe. Es war eine wild aussehende junge Frau.
»Sella!«, rief sie mit einer Stimme, die Stein hätte schneiden können. »Sie haben Sella umgebracht!«
Der Krieger fuhr herum, nur das Schwert rührte sich nicht von der Stelle. Ravin nutzte die Gelegenheit und tastete nach seiner Schleuder. Er wusste, es wäre sinnlos gewesen, sich zu wehren, dennoch beruhigte es ihn, das Leder zwischen seinen Fingern zu
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