Im Bann des Fluchträgers
sicher auch gleichgültig«, brachte er hervor. »Es ist ja nicht dein Bruder, der im Sterben liegt!«
Ein Kloß saß in seiner Kehle, viele ungesagte Worte brannten noch auf seiner Zunge, doch er zwang sich zu schweigen. Darian sah aus, als hätte Ravin ihm eine Ohrfeige gegeben. In diesem Moment taten Ravin seine Worte Leid.
»Entschuldige, Ravin!«, sagte Darian aufrichtig. »Ich verstehe, dass du dich von mir im Stich gelassen fühlst. Ich habe den Grund unserer Reise keineswegs vergessen. Auch ich denke jede Nacht über unseren Weg nach – und über Jolon.«
»Dann hilf mir Skaardja zu finden. Oder reite mit Sella zurück zur Burg. Vielleicht kann Laios ihr helfen.«
Darian schluckte und senkte den Kopf.
»Ich habe die Zeit vergessen, Ravin. Für dich läuft sie sehr viel schneller als für mich. Ich verspreche dir, dass ich diesen Fehler nicht noch einmal machen werde.«
»Verstehe mich nicht falsch – es hat nichts mit Sella zu tun.«
Darian lächelte.
»Natürlich hat es das.«
Dann sahen sie Sella, die vom Fluss heraufgeritten kam. Ihr Gesicht sah besorgt aus. Rasch ließ sie sich von Dondos Rücken gleiten und rannte zu den Sätteln. Sie riss Vajus Sattel hoch und warf ihn Ravin zu. Da!, deutete ihre Hand. Satteln! Schnell! Ravin wusste zu gut um die Instinkte von Waldmenschen, als dass er ihren Befehl in Frage gestellt hätte. Hastig nahm er sein Gepäck und begann Vaju zu satteln. Sella war mit fliegendem Haar zur Feuerstelle gelaufen und erstickte die Glut, so schnell es ging, mit feuchten Blättern und Kies.
»Beeil dich, sie will, dass wir aufbrechen!«, rief Ravin leise Darian zu.
»Aber warum? Wir haben gerade erst Rast gemacht.«
»Wir werden gleich wissen warum, wenn du dich nicht beeilst.«
Er warf Darian Dondos Zaumzeug zu und zurrte die letzten Gurte am Sattel fest. Sella lauschte angestrengt. Immer deutlicher zeichnete die Furcht sich in ihrem Gesicht ab, ihr Atem ging schnell und flach. Sie wirbelte herum, nahm Darians Hand und zog ihn zu Dondo. Gemeinsam packten sie in fieberhafter Hast die restlichen Sachen zusammen und schwangen sich auf seinen Rücken. Sella trieb Dondo zu einem halsbrecherischen Galopp an – Ravin preschte auf Vaju hinterher. Im Sattel drehte er sich um und stellte erleichtert fest, dass niemand ihnen folgte. In rasantem Tempo überquerten sie die Lichtung und tauchten in die Dämmerung des Tanistannenwaldes. Die Äste der Bäume hingen bedrohlich tief – und schon preschte Dondo mitten in das Unterholz. Vaju schnaubte, legte die Ohren an, Ravin duckte sich, dann streifte ein Ast seine Schulter. Als er sein Gleich gewicht wiedergefunden hatte, klebten nadelfeine Blättchen an seinen Lippen. Er blies sie weg, dann musste er schon dem nächsten Ast ausweichen. Rasch duckte er sich so tief über Vajus Hals, dass ihre Mähne wie eine Meeresbrise über sein Gesicht strich. Er vertraute darauf, dass sein Pferd Dondo folgen würde, der im Zickzack zwischen den Bäumen verschwand und wieder auftauchte. Eine Ewigkeit galoppierten sie durch das Unterholz. Sella schien hinter sich etwas zu hören, denn jedes Mal wenn Ravin einen Blick auf sie erhaschte, sah er ihr bleiches Gesicht mit den aufgerissenen Augen, als sie sich umschaute. Plötzlich hörte Ravin es auch: Jemand blies ein dunkles, knarrendes Horn. Als der Ton zum dritten Mal erscholl, riss Sella Dondo so heftig zurück, dass Vaju beinahe in ihn hineingeprallt wäre. Inzwischen war Sella abgesprungen, zerrte erst Darian und dann Ravin zu Boden und vertrieb die Pferde, die sich ärgerlich aufbäumten und mit angelegten Ohren zwischen den Bäumen verschwanden.
»He!«, flüsterte Darian. »Was …?«
Doch Sella zog sie bereits unter eine Tanistanne, deren Zweige bis zum Boden reichten. Sie kauerten
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