Im Bann des Fluchträgers
Augenlider und verschwand.
Ein leiser Mitternachtswind strich um seine Beine und ließ ihn frösteln. Der Schmerz pochte in seinem Bein, jeder Knochen schien schwer. Hinter sich hörte er Aminas Schritte, lange bevor sie ihn erreicht hatte. Sie trat an die Glut und wärmte sich die Hände. Der Wind spielte mit ihrem Haar. Der Duft von verbrannter Rinde und süßem Harz wehte zu Ravin hinüber und machte ihn traurig, so sehr erinnerte er ihn an den Duft des Tjärgwaldes. Er sehnte sich nach Hause zurück, nach Jolon, er sehnte sich so sehr nach ihm, dass er am liebsten geweint hätte.
»Wir sollten aufbrechen, bald geht die Sonne auf.«
Vor ihm stand wieder die harte, spöttische Amina. Ravin spürte Enttäuschung, Einsamkeit umfing ihn.
»Wo warst du?«, fragte er.
»Ich habe etwas gesucht.«
Er sah sie fragend an, doch sie schwieg und deutete nur auf eine große Tanne. Ravin drehte sich um und kniff die Augen zusammen. Geblendet vom Feuerschein konnte er anfangs nichts sehen. Nach und nach erkannte er die Silhouetten zweier riesiger Pferde, die regungslos neben der Tanne standen. Ravin zwinkerte, um das Trugbild zu vertreiben, doch ein heiseres Wiehern schreckte ihn aus seiner Betäubung hoch. Er sprang auf und zuckte zusammen, als der altvertraute brennende Schmerz sein Bein durchfuhr. Diese unheimlichen Pferde waren keine Bantys, dazu waren sie viel zu groß.
»Woher hast du sie?«
Ravins Erstaunen schien sie zu amüsieren.
»Vielleicht bin ich Elis’ dunkle Schwester«, sagte sie und lächelte. Es war ein kaltes Lächeln, das Ravin gar nicht gefiel.
»Sie sehen seltsam aus, Amina. Solche Pferde habe ich noch nie gesehen – ganz schwarz mit weißen Augen! Sind sie blind?«
»Es sind Pferde und sie finden auch blind ihren Weg. Nur das ist wichtig.«
Sie blickten sich an, Amina mit zusammengekniffenen Lippen, Ravin unschlüssig und traurig.
»Es ist unsere einzige Chance, die anderen einzuholen«, sagte sie beinahe bittend. »Sieh dir dein Bein an. Du weißt selbst, dass du nicht mehr lange damit laufen kannst. Also frag nicht, sondern steig auf!«
Müdigkeit schienen die Pferde nicht zu kennen, denn selbst als die Sonne hoch am Himmel stand, trommelten ihre riesigen Hufe wie dumpfe Hammerschläge unermüdlich auf den Waldboden, während Ravin das Gefühl hatte, er müsse jeden Moment erschöpft vom Pferderücken gleiten. Während Amina und Ravin abwechselnd schliefen, standen die Pferde wach und unerschütterlich ruhig und warteten auf die nächste Etappe.
Je weiter sie zogen, desto häufiger wurden sie von Hallgespenstern umlagert. Sie verstopften sich die Ohren mit einer Mischung aus Harz und getrockneten Jalablüten, sodass sie die verschiedenen Stimmen nur noch wie fernes Geplätscher wahrnahmen. Außerdem hatten sie eine Zeichensprache entwickelt, mit der sie sich verständigten. Wenn sie rasteten, machten sie kein Feuer, sondern aßen die Jalafrüchte roh. Die Spuren der Badok verwischten sich immer mehr, doch sie waren sicher, sie noch nicht verloren zu haben. Nach einigen Tagen kamen sie an einen Rastplatz, wo vor kurzem noch Feuer gebrannt hatte. Die Asche war zwar bereits kalt, aber Ravin entdeckte ein Stück Stoff, das unter einem Stein an der Feuerstelle verborgen lag. Ein freudiger Schreck durchfuhr ihn, als er erkannte, dass es von Darians dunklem Mantel stammte. Also wusste er, dass Ravin lebte und ihnen folgte.
Immer näher kamen sie dem Tasos-Pass. Sie durchritten Schluchten und passierten kleine Wäldchen, in denen die Hallgespenster wie dichte Trauben von Fledermäusen in den Bäumen hingen. Amina wirkte düster und entschlossen. Nachts, wenn Ravin an der Reihe war, über ihren Schlaf zu wachen, beobachtete er ihr Gesicht und bemerkte einen
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