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Im Bann des Fluchträgers

Im Bann des Fluchträgers

Titel: Im Bann des Fluchträgers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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wand­te ihr den Kopf zu, sei­ne blin­den pu­pil­len­lo­sen Au­gen leuch­te­ten wie blei­che Qual­len in ei­nem schwar­zen Meer.
    »Ami­na! Was ist?«, rief er. Mit ein paar Schrit­ten war er bei ihr. Sie sah ihn nicht an. Plötz­lich schüt­tel­te sie ein jam­mer­vol­les Schluch­zen.
    »Lass mich in Ru­he, Ra­vin!«, sag­te sie ge­presst. Ra­vin schluck­te und fühl­te, wie ihm der Kum­mer eben­falls die Keh­le zu­schnür­te.
    »Ami­na, du hast mich ge­be­ten von Jo­lon …«
    »Ich weiß, worum ich dich ge­be­ten ha­be!«, er­wi­der­te sie und schnief­te.
    »Es ist nur … Ich ha­be auch einen Bru­der – und er ist sehr krank!«
    »Du hast mir nie er­zählt …«
    »Und ich wer­de es dir nicht er­zäh­len! Nie, nie­mals!«, schrie sie und ließ ihn ein­fach ste­hen. Ver­wirrt blick­te ihr Ra­vin nach, dann kehr­te er zum La­ger­platz zu­rück. Al­lein ge­las­sen mit dem gan­zen auf­ge­wühl­ten Kum­mer setz­te er sich hin, schlang die Ar­me um sei­ne Knie und lausch­te dem po­chen­den Schmerz in sei­ner Brust.
    Sie rit­ten in der­sel­ben Nacht wei­ter. Trotz der Dun­kel­heit schrit­ten ih­re blin­den Pfer­de weit aus.
    »Lass uns tan­zen!«, flüs­ter­te ei­ne la­chen­de Stim­me ihm ins Ohr.
    »Gleich geht die Son­ne auf, du musst Jarog be­nach­rich­ti­gen!«, raun­te ei­ne tie­fe Män­ner­stim­me. Ra­vin horch­te auf, als er den Na­men des Hof­zau­be­rers ver­nahm. Doch die­ser Satz, den das Hall­ge­spenst wei­ter­trug, moch­te be­reits vie­le Jah­re alt sein, als Jarog durch Ska­ris reis­te. Noch wahr­schein­li­cher war, dass es sich um einen an­de­ren Mann die­ses Na­mens han­del­te. Nur die Wald­men­schen ach­te­ten dar­auf, dass kei­ne zwei Men­schen den­sel­ben Na­men tru­gen.
    Sie ka­men im­mer nä­her an die Ber­ge, die im grau­en Däm­mer­licht des Mor­gens hoch und vio­lett auf­rag­ten. Ver­bor­gen im ho­hen Som­mer­gras führ­te ein schma­ler Weg zum Pass. Ami­na deu­te­te dort­hin, wo der Weg sich hin­ter ei­ner An­samm­lung von klein­wüch­si­gen, ma­ge­ren Tan­nen am Fuß des Ber­ges nach oben schraub­te. Die­ser Weg führ­te of­fen­sicht­lich wie­der in ei­nem lan­gen Bo­gen halb um den Berg her­um. Es wür­de sie Ta­ge kos­ten, den ho­hen Pass zu über­que­ren.
    Ra­vins Ge­fühl sag­te ihm, dass es einen schnel­le­ren Weg über das Ge­bir­ge ge­ben muss­te. Links vom Weg, weit un­ter­halb der Ta­ni­stan­nen, hat­te er einen Pfad ent­deckt, der in ei­ne Höh­le führ­te. Viel­leicht war es wirk­lich nur ei­ne Höh­le und drin­nen war­te­te ei­ne schlecht ge­laun­te Mar­tis­kat­ze. Viel­leicht war es aber auch ein Tun­nel, der durch den Berg führ­te. Am Pass könn­ten Wa­chen sein, über­leg­te er wei­ter. Viel­leicht war es bes­ser, Schleich­we­ge zu su­chen, statt dem Tross zu fol­gen. Der Weg ver­brei­ter­te sich und wur­de zu ei­ner Stra­ße, was Ra­vin in sei­nem Arg­wohn noch be­stärk­te. In­zwi­schen wa­ren sie di­rekt vor dem Berg. Er muss­te den Kopf in den Nacken le­gen, um den steil nach oben füh­ren­den Weg ver­fol­gen zu kön­nen. Wie­der ein­mal wünsch­te er sich sei­ne tritt­si­che­re Va­ju her­bei, denn er zwei­fel­te, ob das mas­si­ge schwar­ze Pferd mit den höl­zer­nen Be­we­gun­gen den Auf­stieg be­wäl­ti­gen wür­de. Er such­te mit den Au­gen nach dem Pfad, den er ges­tern be­merkt hat­te, und fand ihn.
    »Da müs­sen wir hoch«, stell­te Ami­na fest. »Am bes­ten, wir ru­hen uns aus, denn es wird an­stren­gend.«
    »Ein Mensch kann nicht zwei We­ge ge­hen«, mur­mel­te Ra­vin beim Blick auf den Berg. »Das hat Jo­lon ge­sagt, wenn ich mich nicht ent­schei­den konn­te einen an­stren­gen­den Weg zu rei­ten.«
    Sie sah an ihm vor­bei und tat, als hät­te er kein Wort ge­sagt. Ver­är­gert be­merk­te er, dass sie im­mer noch nur das Nö­tigs­te mit ihm sprach. Ger­ne hät­te er mehr über ih­ren Bru­der er­fah­ren, doch er wuss­te, dass Ami­na die­ses Ge­heim­nis wie einen schmer­zen­den Split­ter tief in ih­rer See­le trug.
    »Ami­na, ich glau­be, es gibt einen zwei­ten Weg. Siehst du den Pfad dort, der in die Höh­le führt?«
    Sie folg­te sei­nem aus­ge­streck­ten Arm mit ih­rem Blick und zuck­te die Schul­tern.
    »Es gibt vie­le

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