Im Bann des Fluchträgers
Pfade. Wer sagt dir, dass dieser durch das Gebirge reicht?«
»Niemand sagt es mir. Aber ich schließe die Augen und fühle einfach, dass der Pfad besser ist als der Steilweg.«
»Nun«, meinte sie mit ihrer hochmütigen Stimme. »Und mir sagt die Zukunft, dass ich den Steilweg nehmen werde. Aber vielleicht ist es wirklich eine gute Idee, auf einen Waldmenschen zu hören, der noch nie in Skaris war, und mich in einer Höhle zu verirren, während mein Lager verschleppt ist!«
Ravin schoss das Blut in die Wangen.
»Und ich habe wohl keine Freunde, die ich so schnell wie möglich befreien möchte?«, rief er. »Du warst auch noch nie in diesem Gebirge!«
Sie wirbelte herum und sah ihm das erste Mal seit ihrem Gespräch in die Augen.
»Waldmensch Ravin«, spottete sie. »Meine Mutter war immerhin eine Bergshanjaar. Und wenn ich mich auf dein Gefühl verlassen hätte, würden wir immer noch zu Fuß irgendwo durch Skaris irren und die anderen nie …«
»Das ist nicht wahr!«, unterbrach Ravin sie grob. »Ich kann keine blinden Pferde herbeischaffen, aber ich brauche dich gewiss nicht um einen Weg zu finden! Seit gestern behandelst du mich, als wäre ich dir lästig. Was habe ich dir getan?«
»Überhaupt nichts hast du mir getan!«, schrie sie ihn an. »Und trotzdem, Ravin, wünschte ich, ich hätte dich nie getroffen! Ich wünschte, du und Darian wärt nie in unseren Wald gekommen! Ich wünschte, ich hätte dich nie gesehen!«
Er schnappte nach Luft. Aminas Augen glommen in einem blauen Licht, Ravin sah Schmerz und Wut darin.
»Gut«, sagte er schließlich. Seine Stimme klang in seinen Ohren fremd, so kalt und hart war sie. »Wenn du so denkst, dann gibt es keinen Grund, warum wir ge meinsam reiten sollten. Ich jedenfalls werde durch die Höhle reiten – oder gehen, wenn du dein magisches Pferd behalten möchtest. Vielleicht sehen wir uns in Badoks Burg.«
»Ravin!«
Aminas Stimme ließ ihn das Pferd zurückhalten, das bereits zum Galopp angesetzt hatte. Es bäumte sich auf und stand dann still. Die Hallgespenster außerhalb des Bannkreises flüsterten aufgeregt.
»Warte – bitte!«
Sie war von ihrem Pferd gesprungen und kam zu ihm. Er bemerkte, dass sie blass geworden war.
»Meine Worte waren nicht so gemeint, Ravin. Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen.«
»Warum bist du so wütend auf mich?«
Sie biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf.
»Ich bin nicht auf dich wütend – ich bin … Ich glaube, ich bin auf mich selbst wütend.«
»Aber warum? Glaubst du, wir sind schuld, dass die Badok alle verschleppt haben? Glaubst du, es wäre nicht passiert, wenn Darian und ich nicht in euer Lager gekommen wären?«
»Ach, Ravin«, erwiderte sie mit weicher Stimme, im Morgenlicht sah sie schön aus und so verletzlich, dass Ravins Ärger beinahe verflog.
»Das ist es nicht.«
»Ist dein Bruder bei den Badok?«
Sie zog überrascht die Brauen hoch, dann lächelte sie und zuckte die Schultern.
»Vielleicht«, sagte sie traurig. »Wenn ich das nur wüsste.«
Dann holte sie Luft und bemühte sich einen ruhigen und gefassten Eindruck zu machen. Beinahe wäre ihr dies auch gelungen.
»Lass uns Freunde sein, Ravin. Es war ungerecht von mir, dich für Dinge zu strafen, mit denen du nichts zu tun hast.«
Ravin betrachtete eine Weile ihr ernstes Gesicht und kämpfte gegen das Gefühl der Kränkung, das immer noch wie ein Dorn in seinem Herzen saß.
»Bitte«, sagte sie und er hörte Aufrichtigkeit und Bedauern in ihrer Stimme. Schließlich nickte er und sprang vom Pferd, sodass sie sich gegenüberstanden. Mit seiner Linken machte er das Zeichen der Waldmenschen für Freund. Sie hob ebenfalls die Hand und tat es ihm nach. Dann streckte er ihr seine rechte Hand hin. Sie ergriff sie mit einem Lächeln – für einen Augenblick nur, dann zeichnete sich Erschrecken in ihrem Gesicht
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