Im Bann des Fluchträgers
mit sich und belegte Faran mit einem Fluch: Sobald er seinen Wald verließe, würde er altern und sterben. Elis dachte nach. Wenn er den Wald nicht verlassen konnte, würde sie zu ihm kommen und Kalanjen für immer verlassen. Sie schickte ihre Nachricht an Faran. Wenn Abendstern und Sonne gemeinsam am Himmel stünden, sollte er am Waldrand auf sie warten. Kalanjen war wütend, als Elis ihr von ihrem Entschluss erzählte, bei Faran zu bleiben.
»Niemals!«, rief sie und schleuderte einige große Felsen ins Tal. Mit solcher Wucht rollten sie auf den Wald zu, dass Elis fürchtete, sie würden den Wald überrollen und Faran töten. Und genau das hatte Kalanjen ja auch im Sinn. »Nun lauf«, sagte die Shanjaar zu ihrer Tochter. »Wenn du schneller bist als die Felsen, gehört Faran dir!«
Und Elis lief, dass ihr langes silberweißes Haar hinter ihr herflog. Sie rannte, so schnell sie konnte, um die Felsen zu überholen, die auf ihrem Weg ins Tal alles mit sich rissen, was sich ihnen in den Weg stellte. Doch erkannte sie bald, dass sie zu langsam war. Elis war verzweifelt – unten am Waldrand sah sie Faran stehen. Er hob ihr die Hände entgegen wie zum letzten Gruß. Elis spürte, wie die Erschöpfung an ihren Beinen zerrte. Doch sie gab nicht auf! Der Anblick von Farans Gestalt am Waldrand verlieh ihr neue Kräfte, fast holte sie einen der Felsbrocken ein – da stolperte sie und fiel auf den Steinboden. Und da, als ihr Haar den Stein berührte, verwandelte Elis sich in einen schnellen Gebirgsbach. Beinahe hatten die ersten Felsen den Wald erreicht, da floss das silberhelle Wasser vor den Felsen in den Wald – und jeder der Felsen verwandelte sich in ein Bantypferd! Flink und wendig, ohne langsamer zu werden strömten sie ins Unterholz und wichen geschickt den Bäumen aus. Seitdem leben die Bantys im Wald. ›Bant‹ heißt in der Bergsprache ›Fels‹. Und Elis und Faran, sagt man, leben noch heute hier. Ihre Kinder sind die Naj, die im Fluss leben, wie ihre Mutter es gerne tat. Elis wacht über den Schlaf aller, deren Wohnstatt der Wald ist.«
Ravin lachte. Sein Herz war plötzlich frei und leicht, wie schon seit vielen Monden nicht mehr.
»Eine schöne Geschichte. Und ein schönes Hochzeitsgeschenk, das die Bergshanjaar ihrer Tochter machte!«
Amina sah ihn überrascht an.
»Du meinst, es war ein Hochzeitsgeschenk?«
»Natürlich! Kalanjen hat die Liebe von Elis auf die Probe gestellt.«
Amina zog die Brauen hoch.
»Nun ja, dann würde auch der Marjulabrauch eine neue Bedeutung bekommen.«
»Was ist das für ein Brauch?«
»Wenn man verliebt ist, schenkt man seiner Elis oder seinem Faran ein aus Marjulaholz geschnitztes Banty. Es symbolisiert die tiefe Verbindung.«
Ravin schaute ins Feuer. Sie schwiegen. Er bemerkte, dass ihr Blick auf ihm ruhte.
»Und du, Ravin va Lagar?«, fragte sie. »Hast du deine Elis schon gefunden?«
Ihre Augen blitzten. Ravin wurde rot und griff zu einem Stück Trockenfleisch. Er dachte daran, wie vertraut Amina und Ladro miteinander umgingen und wie sie sich anlächelten, und fühlte unerklärlicherweise einen kleinen Stich in der Brust.
»Bei uns …«, antwortete er ausweichend, »… schenkt man sich einen blauen Tamaras, einen Glücksstein aus dem See.«
Amina fragte nicht weiter. Als er sie verstohlen ansah, stocherte sie im Feuer. Ihr Gesicht war wieder ernst.
»Entschuldige«, sagte sie. »Ich wollte nicht neugierig sein.«
Er biss sich auf die Lippen und schalt sich dafür, dass er so ungeschickt reagiert hatte.
»Nein …. ich meinte nur …«, stotterte er.
Doch dann schwiegen sie beide und blickten ins Feuer.
Ravin musste im Sitzen eingenickt sein, denn während er nachdenklich in die Glut starrte, schien es ihm plötzlich, als berührte ein heißer Luftzug seine Stirn. Der Falter streifte über seine
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