Im Bann des Fluchträgers
machte. Die Schmerzen in seinem Bein wurden schlimmer. Inzwischen humpelte er stark, doch er nahm sich zusammen und Amina sprach ihn nicht darauf an. Sie rasteten kaum, schliefen unruhig und nur kurz, bevor sie wieder aufbrachen. Sein Schlaf war traumlos und von Schmerz überschattet.
Sie sammelten Jalafrüchte und aßen das Trockenfleisch, das sie im verwüsteten Lager gefunden hatten. Dann setzte ein kühler Frühsommerregen ein. Gras und Blumen begannen rasch die Spuren zu überwuchern. Am sechsten Tag wurde es so kalt, dass sie beschlossen, aller Vorsicht zum Trotz, ein Feuer zu machen. Amina hatte einen verdeckten Lagerplatz ausgewählt und sich daran versucht, einen magischen Schutzkreis zu ziehen.
»Ich hoffe, sie lassen uns zumindest für eine kurze Rast in Ruhe!«, flüsterte sie, als sie sich anschickte das Feuer zu entfachen. Erschöpft kauerten sie sich dicht an die Flammen und wärmten sich.
»Was meinst du, wohin reiten sie?«, fragte Ravin und musste niesen.
»Jerrik hat oft erzählt, dass Badok im Landesinneren eine Burg besitzt. Eine Festung aus Stein, die selbst ein Blitz nicht spalten kann. Ich weiß nicht, ob es wahr ist. Aber sie reiten direkt auf den Tasos-Pass zu. Und das wäre die richtige Richtung.«
»Lange werden ihre Spuren nicht mehr sichtbar sein. Ohne Pferde sind wir einfach zu langsam!«
Amina schwieg.
»Gibt es in den Wäldern hier keine Bantys?«, fuhr Ravin fort.
Amina blickte ihn überrascht an.
»Ravin va Lagar – da sitzt du mit einer schlimmen Verwundung, durchnässt und ohne Hoffnung an diesem kümmerlichen Feuer und klagst nicht, sondern fragst nach Bantys!« Sie lächelte und zum ersten Mal sah Ravin keinen Spott in ihrem Gesicht.
»Natürlich gibt es Bantys hier. Aber es würde uns viel Zeit kosten, auch nur eines davon zu fangen und zu zähmen.«
»Einen Versuch wäre es wert! So wild und gefährlich sahen eure nicht aus.«
»Natürlich nicht. Aber weißt du, wie wild sie waren, bevor wir sie gezähmt haben? Es dauert viele Monde, bis ein Banty überhaupt einen Reiter auf seinem Rücken duldet. Und dann läuft es noch lange nicht in die Richtung, in die du es leiten willst. Sie wirken harmlos, aber sie sind alles andere als das. Hat dir Ladro nicht erzählt, woher die Bantys kommen?«
Er schüttelte den Kopf, fasziniert von der Lebhaftigkeit, die Amina plötzlich an den Tag legte. Ein paar Funken knisterten in den schwarzen Nachthimmel. Plötzlich wurde Ravin warm. Amina lachte und begann:
»Man sagt, in einer Zeit, als die Hallgespenster noch Menschen waren, da lebte im Berg Skariskal eine sehr alte Bergshanjaar. Sie hatte viel Gutes getan, doch sie war alt geworden und müde und auch bitter. Niemals ging sie in den Wald hinunter, sie liebte allein den Stein. Diese Shanjaar hieß Kalanjen und hatte eine Tochter, Elis. Elis war schöner und lichter als eine Bergnymphe, sie hatte silberweißes Haar, das ihr bis hinunter zu den Fesseln fiel, und Augen aus hellblauem Bergkristall. Man sagt, Kalanjen habe sie in einem Bergsee gefunden. Sie trieb auf dem Wasserspiegel wie ein trockenes Stück Holz und Kalanjen schwamm hinaus, holte sich das Wasserkind und zog es auf. Elis liebte die Berge, doch noch mehr liebte sie die Bäche und Seen. Eines Tages folgte sie dem Gebirgsbach ein Stück ins Tal und ging aus Neugier weiter, bis sie zum Wald kam. Das kühle Grün gefiel ihr sehr viel besser als die nackten Felsen, zwischen denen sie lebte, also ging sie weiter und weiter – und traf auf einen schlafenden Waldmenschen. Schön war er, hoch gewachsen wie sie, sein Haar war rot wie das Holz des Marjulabaumes. Sein Name war Faran. Als er die Augen aufschlug, blickte er in Elis’ lachendes Gesicht und verliebte sich sofort in sie. Lange Zeit lebten sie im Wald. Doch schließlich entdeckte Kalanjen sie, nahm Elis
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