Im Bann des Fluchträgers
zwischen den Felsen auf der Hinterhand um und galoppierte ohne zu zögern davon. Lange noch war das Echo seiner donnernden Hufschläge zu hören. Ravin tat der Abschied nicht Leid, im Gegenteil. Er war froh, dieses unheimliche weißäugige Pferd los zu sein. Vorsichtig kletterte er weiter, immer enger wurde der Felsengraben, bis er sich schließlich hindurchzwängen musste.
In dieser Nacht schlief er Schulter an Schulter mit den kalten Felswänden. Über sich sah er einen Streifen dunkelblauen Himmels und einige Sterne. Er erinnerte sich an die Zeit, als er mit Sella und Darian unter den duftenden Zweigen der Tanistannen geschlafen hatten, ihr Atmen neben ihm. Nie zuvor hatte er sich so einsam gefühlt wie jetzt. Lange suchte er nach Jolons Gesicht und fand es nicht. Schließlich sank er erschöpft in einen beunruhigenden Traum:
Er watete auf einer nassen Wiese, seine Füße waren klamm, er fröstelte. Erstaunt sah er, dass das Gras schwarz war – und auch Gislans Burg, die vor ihm auftauchte, schien dunkel und fremd. Er blinzelte im Licht einer grellen Sonne und sah, dass die Burg aus Glas war. Darin staute sich Rauch. Eisregen fiel vom Himmel, doch der grelle Schein blieb. Schwarze Nebelschwaden trieben an ihm vorbei und ballten sich zu stummen Gestalten. Ravin sah Krieger mit langen, wilden Bärten. Lautlos ritten sie an ihm vorbei. Unter den Hufen ihrer Wolkenpferde erzitterte die Erde. Die kalten Pferdeleiber drängten sich gegen Ravin, er hielt die Luft an und schob sich weiter – da endlich sah er Jolon. Er saß vor einem Feuer, das mitten auf der Wiese brannte. Seine Augen waren nicht geschlossen, der Traumreif lag nicht mehr um seine Stirn. Am Rande seines Blickfeldes gewahrte Ravin wieder den schwarzen Schatten. Rasch wandte er den Kopf, doch das dunkle Etwas war bereits davongehuscht. Als er den Blick wieder auf Jolon richten wollte, stand Amina vor ihm. Ihre Augen kalt und blau wie Eis, die Haare wanden sich und zuckten um ihr Gesicht wie schwarze Blitze. Ihre Hände waren die Hände einer Woran, dunkel, grausam und zu Fäusten geballt. Hinter ihr stand Darians Lehrmeister, der alte Hofzauberer Laios, und blickte Ravin ernst an. »Ravin, wach endlich auf!«, sagte er.
Ravin schreckte hoch, die Stille zwischen den Felsen dröhnte in seinen Ohren.
War Jolon in Gefahr? Ravin rief sich das Bild der Königin ins Gedächtnis. Sorgfältig zeichnete er jedes Fältchen auf ihrem Gesicht nach, jede kleine Schattierung, stellte sich die Farbe und den Ausdruck ihrer Augen vor. Endlich, nach Ewigkeiten, strich der Falter einmal sacht über seine Stirn. Er entspannte sich. Dennoch blieb ein mulmiges Gefühl. Etwas hatte sich verändert. Beunruhigt stand er auf und machte sich trotz seiner Müdigkeit auf den Weg. Über ihm leuchtete der Nachthimmel. Langsam tastete er sich weiter und wich, so gut er konnte, den dornigen Zweigen aus. Gegen Morgen, als der schmale Spalt Himmel über ihm sich rosagrau verfärbte, stand er erschöpft vor dem schmalen Höhleneingang. Bevor er in den Tunnel stieg, sammelte er so viele der roten Beeren, wie in seine Tasche passten. Wer wusste, wie lange er in der Höhle unterwegs sein würde.
Im Inneren der Höhle fühlte er nassen Stein und nach ein paar Schritten stieß seine Hand auf etwas Pelziges. Erschrocken zog er die Hand zurück und zerrte sein Schwert hervor, immer in der bebenden Erwartung, dass sich jeden Augenblick eine Martiskatze auf ihn stürzen würde. Doch dann wurde ihm bewusst, dass es sich um ein zerfasertes Seil handelte. Er umfasste es und spürte feuchtes Moos unter seinen Fingern. Am liebsten hätte er einen Freudenschrei ausgestoßen, doch er dachte an die Hallgespenster, die sicher noch in der Nähe waren und begnügte sich mit
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