Im Bann des Fluchträgers
ab, als sei ihr eingefallen, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Doch sie kam nicht mehr dazu, ihre Hand zurückzuziehen, denn Ravin hatte bereits ihre Handfläche nach oben gedreht. Drei erhabene Sichelmonde leuchteten weiß und Unheil verkündend in ihrer Hand, wo sie ein Dreieck bildeten. Ravins Gedanken überschlugen sich. Das Blut wich aus seinem Gesicht. Er ließ es zu, dass Amina ihm ihre Hand entriss und einige Schritte zurückwich.
»Du hast Badoks Krieger getötet! Mit deinen Händen! Du bist eine Woran?«, flüsterte er.
Aminas Gesicht zuckte, als hätte ein Peitschenhieb sie getroffen, ihre Augen wurden hart wie blauer Kristall.
»Noch nicht, Ravin va Lagar, aber bald«, sagte sie mit schneidender Stimme. »Was weißt du denn schon von den Woran!«
»Sie töten mit einer Berührung! Du lebst auf der Schattenseite der Magie!«
»Dort werde ich leben, ja«, erwiderte sie trotzig und streckte ihm ihre Handfläche entgegen. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.
»Da siehst du es.« Sie lächelte traurig. »Du hast bereits Angst vor dem Blutmond.«
Verwirrt starrte er in ihr Gesicht – es war Amina, die er sah, keine Woran mit dunklem Gesicht und schwarzen Händen. Nur Amina. Insgeheim schalt er sich, weil er vor ihr zurückgewichen war.
»Amina, ich dachte …«
Er streckte seine Hand nach ihr aus, doch sie schlug sie weg und war mit wenigen Schritten bei ihrem Pferd. Er stürzte ihr nach, doch sie hatte sich bereits auf das Tier geschwungen und zwang es, einen Satz zur Seite zu machen.
»Ein Mensch kann nicht zwei Wege gehen, Ravin«, sagte sie bitter. »Das ist wahr. Ich hätte das bereits früher erkennen müssen. Dein Weg ist dort.« Sie deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Und ich reite über den Pass.«
Als sie an Ravins Pferd vorbeipreschte, zog sie ihr Schwert und hieb die Zügel durch. Das Pferd keilte aus und nahm Reißaus. Ravin stand wie gelähmt und blickte Amina nach. In dem Moment, als sie den Bannkreis durchbrach, stürzten sich die Hallgespenster auf ihn. »Du bist eine Woran?«, rief seine eigene Stimme ihm zu. »Ein Mensch kann nicht zwei Wege gehen«, hallte Aminas bittere Stimme. Ravin hielt sich die Ohren zu, Tränen schossen ihm in die Augen.
Viele Stunden später, als er das seltsame Pferd wiedergefunden und die durchgehauenen Zügelenden verknotet hatte, brach er zur Höhle auf. Amina würde er nicht einholen. Das Pferd stolperte häufig und bewegte sich ungeschickt. Zum ersten Mal erweckte es wirklich den Eindruck, als sei es blind. Schließlich gab Ravin auf und stieg ab, erkletterte den felsigen Pfad und führte das unwillige Pferd am Zügel hinter sich her. Am Mittag des folgenden Tages war er dem Pfad, der zur Höhle führte, so weit gefolgt, dass er einen weiten Blick über das Tal hatte. In der Ferne sah er einen glitzernden Fluss und die Strecke, die sie bisher geritten waren. Wenn die Badok von hier oben nach ihnen Ausschau gehalten hatten, würden sie sie entdeckt haben. Noch weiter bergan stieß Ravin auf dunkelgraues Felsgestein, das glatt poliert war, als hätten Wasser und Sand es so lange geschliffen, bis es spiegelblank in der Sonne glänzte. Ravin wählte einen Pfad, der zwischen den Felsen hindurch nach oben führte. Rechts und links von ihm ragten die Felswände auf. Die Hufschläge des Pferdes echoten hinter ihm. Es hörte sich an, als führte er eine ganze Herde mit sich. Kleine rote Beeren wucherten an den Felsen. Ravin untersuchte sie und entdeckte, dass sie an dornigem Gestrüpp wuchsen, das genauso aussah wie der Mähnenschmuck der Badok-Pferde. Er war also auf dem richtigen Weg! Der Pfad war inzwischen so eng geworden, dass er nur zu Fuß weiterkommen würde. Also gab er dem Pferd einen Klaps auf den Hals. Mühsam drehte sich das riesige Tier
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