Im Bann des Fluchträgers
dann, wenn Krieg ist.«
Ravin überlegte. Bei den Horjun, so ging ihm auf, handelte es sich vermutlich um Badoks Gefolgsleute. Dann fragte er vorsichtig:
»Wie viele – Horjun – sind noch hier?«
Ein Funkenregen explodierte über der Flamme und ließ ihn einen Schritt zurücktreten. Das Mädchen folgte ihm. Dort wo sie gestanden hatte, war das Gras schwarz und verkohlt. Hitze kitzelte sein Gesicht.
»Hier im Garten nur einer.« Sie lachte. »Du!«
»Und außerhalb des Gartens?«
»Du meinst in der Burg?«
Ravin musste sich beherrschen, damit seine Stimme nicht zitterte.
»Ja, in der Burg. Wie viele?«
Sie leckte sich mit einer blauen Flammenzunge über die Lippen und hob die Schultern.
»Tausend vielleicht. Oder mehr. Ich weiß es nicht. Sie lassen mich nicht mehr in die Burg. Ich darf nur zu den Erloschenen.«
Ihre Stimme knisterte vor Verachtung. Ravin atmete auf.
Hier in der Nähe gab es eine Burg! Er musste das Mädchen dazu bringen, mehr zu erzählen.
»Ich muss in die Burg. Man erwartet mich dort. Aber man hat mir nicht gesagt, wie ich von hier aus zur Burg gelange.«
Ihre Augen wurden dunkler, flackerten orange.
»Na, du gehst einfach wieder zurück zur Waffenkammer«, sagte sie betrübt und erlosch. »Leb wohl, Horjun!«
»Halt!«, rief Ravin. »Warte!«
Sie wuchs so schnell neben ihm aus dem Boden empor, dass der Hitzeschwall ihn zur Seite springen ließ, noch ehe er ihrer Gestalt gewahr wurde.
»Ja?«, fragte sie erwartungsvoll.
»Ich möchte mir den Garten ansehen, bevor ich zu den anderen gehe. Ich bin neu hier.« Das war nicht einmal gelogen.
Der Duft von verbrannter Erde fing sich in Ravins Nase.
»Ich zeige dir das Tal«, zischte sie. Seine Augen schmerzten, als hätte er zu lange in die Sonne geblickt. Das Flammenmädchen sprang im Zickzack, war mal links, mal rechts von ihm, doch immer nah genug, um ihn mit ihren Feuerzungen beinahe zu verbrennen. Er folgte ihr über ein schmales Stück Wiese, das von einem felsigen Halbrund begrenzt wurde. An der offenen Seite endete die Wiese im Nichts, mitten im Himmel, wie es Ravin schien. Begleitet von dem Flammenmädchen ging er zum Wiesenrand und schaute hinunter. Darunter waren mehrere Terrassen angelegt. Drei Stufen konnte er erkennen, bevor die Felswände nackt und grau in ein weites Tal abfielen. Doch nirgends eine Burg. Er befahl sich ruhig zu bleiben, um bei dem Flammenmädchen kein Misstrauen zu erwecken.
»Ein schöner Ausblick«, meinte er und schlenderte am Abhang entlang. Das Mädchen zitterte neben ihm und zeigte auf einen Berg in der Ferne.
»Dorthin kehre ich zurück, wenn die Erloschenen nicht mehr brennen«, sagte sie stolz.
»Die Erloschenen?«
»Die Krieger, die der Herr gerufen hat.«
»Die du nicht leiden kannst.«
Sie nickte. Vorsichtig tastete Ravin sich weiter vor.
»Was magst du an ihnen nicht?«
»Alles. Sie sind tot, sie ernähren sich von bösen Gedanken, von Angst und Leid. In ihrer Gegenwart kann ich nicht hell brennen, weil sie einfach meine Flammen fressen. Das ist nicht sehr höflich.«
»Und sie sind hier, weil Krieg ist?«
Ein misstrauisches, bläuliches Flackern huschte über ihr Gesicht. Ravin wünschte sich Darian herbei, der wortgewandt und geschickter im Aushorchen war als er. Er räusperte sich und fügte hinzu:
»Ich meine, dein – unser – Herr hat so viele Horjun gerufen. Als Armee reichen wir doch aus.«
Er schwitzte nicht nur wegen der Wärme, die sie abstrahlte. Ein paar Funken stoben in seine Richtung und verloschen zischend im feuchten Gras.
»Das besiegte Land ist groß, sagen die Erloschenen.«
»Das besiegte Land?«
»So nennen sie es. Sie sprechen immer nur von dem, was sein wird, und von dem, was gewesen ist. Hast du Angst davor, ins besiegte Land zu ziehen?«
Er versuchte ein Lächeln, das selbstsicher
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