Im Bann des Highlanders
überzeugt«, murmelte Joan und wartete ungeduldig, dass der Mitarbeiter des Autoverleihers ihr den Zettel zurückgab.
Doch der junge Mann hatte wohl Langeweile, denn er begann über die Vorzüge des Hochlandstädtchens zu schwärmen. »Nach geschichtlichen Übermittlungen ist der Ort einer der ältesten in der Region – mit Ausnahme von Inverness. Früher war er Teil eines mächtigen Clans, der in der Nähe seinen Stammsitz hatte. Glenbharr Castle wurde vor über zweihundert Jahren zwar teilweise zerstört, aber noch heute kann man erkennen, wie mächtig und prachtvoll es in seiner Blütezeit gewesen sein muss.«
Joan machte eine interessierte Miene.
»Gute Fahrt«, sagte er nach weiteren Ausführungen über die unberührte Natur seiner Heimat.
Joan hatte den Wagen zunächst für eine Woche gebucht, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie so lange bleiben würde.
Kalter Wind und feiner Regen schlugen Joan ins Gesicht, als sie aus dem Gebäude trat, um sich zu ihrem Leihwagen führen zu lassen. Ihr war klar, dass sie mit Wärme und Sonne trotz Juli nicht rechnen durfte und fragte sich, wie die Bewohner der Highlands damit umgingen, fast das gesamte Jahr hindurch dicke Pullover und gefütterte Jacken tragen zu müssen.
Erst beim zweiten Versuch sprang der Wagen an. Auf dem Beifahrersitz lag Fionas alte Landkarte der Highlands, auf denen sie mit einem Rotstift die Route von Inverness nach Baile a’Coille nachgezeichnet hatte.
Die Scheibenwischer quietschten leise, als Joan sie in Gang setzte, doch viel besser wurde die Sicht dadurch auch nicht. Zum Glück brauchte sie nicht mehr durch die Stadt zu fahren, sondern konnte gleich auf eine Landstraße hinter dem Flughafengelände abbiegen.
Ein unangenehmes Gefühl beschlich Joan, je weiter sie sich von der Zivilisation entfernte. Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich hügelige Waldgebiete, die infolge des diesigen Wetters dunkel und bedrohlich wirkten.
Außer Joan befand sich niemand auf der Fahrbahn, und fast hatte sie das Gefühl, allein auf der Welt zu sein. Außer Wäldern, unterbrochen von kargen Wiesen, auf denen Felsbrocken verschiedener Größe verstreut lagen, gab es nichts zu sehen – kein Dorf, kein Fahrzeug, kein Mensch.
Auf einem verwaschenen Schild am Straßenrand stand etwas – vermutlich auf Gälisch – geschrieben, aber Joan konnte es natürlich nicht entziffern.
Nach Berechnungen des Reisebüros lag Baile a’Coille ungefähr vierzig Meilen von Inverness entfernt, doch Joan kam die Entfernung viel weiter vor. Ein Blick auf das Armaturenbrett sagte ihr, dass sie gerade erst zwölf Meilen gefahren war.
Es war erst siebzehn Uhr, verkündete die beleuchtete Digitaluhr neben dem Tacho, daneben war praktischerweise das aktuelle Datum angegeben: 14.7.2005.
Je weiter sie fuhr, umso mehr erschien der Eindruck, sich dem Ende der Welt zu nähern.
Wie konnten in dieser Einöde Menschen leben?, überlegte Joan und dachte an das pulsierende Londoner Leben, das sie weit hinter sich zurückgelassen hatte. Ob die Leute in den Highlands überhaupt Strom und Telefon kannten, oder waren diese Erfindungen an ihnen vorübergezogen?
Nach einer weiteren Stunde völliger Einsamkeit lichtete sich der Wald und machte hügeligen kargen Weiden Platz, auf denen riesige Schafherden grasten. Ihre Wolle sah so grau wie die Wolken aus, fand Joan.
Als sie den Blick wieder auf die Straße richtete, erkannte sie in der Ferne verschwommene Lichter. Das musste Baile a’Coille sein! Großmutters Karte zufolge gab es davor keine andere Ansiedlung.
Joan seufzte laut auf, als sie tatsächlich das Ortsschild las – sie war endlich am Ziel. Die grauen, aus grobem Stein gefertigten Häuser zu beiden Seiten schienen mit den Hügeln zu verschmelzen.
Der Ort war größer, als Joan angenommen hatte, und nachdem sie erfolglos auf der Hauptstraße nach der Pension Cearc fhrangach Ausschau gehalten hatte, hielt Joan an, als sie einen älteren Mann mit Gummistiefeln, ausgebeulter Hose und nicht ganz sauberem Wollpullover am Straßenrand entdeckte.
Sie betete inständig, dass der Mann englisch sprach, kurbelte das Seitenfenster herunter und fragte: »Können Sie mir sagen, wo sich diese Pension befindet?« Dabei hielt sie ihm den Zettel hin, auf dem sie den Namen in säuberlichen Großbuchstaben gemalt hatte.
Der Mann nickte und erklärte mit starkem schottischen Akzent: »Fahren Sie bis zur Ortsmitte, dann rechts ab.«
»Aha.« Joan wartete höflich, ob noch etwas kam,
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