Im Bann des Highlanders
betrachtete dabei angestrengt das Stück Früchtekuchen, das sie in der Hand hielt.
»Die Burg wurde mutwillig zerstört«, ließ Ewan nicht locker. »Ich mag zwar aus einem anderen Jahrhundert stammen, aber ich bin nicht blind. Glenbharr Castle ist nicht im Laufe der Zeit verfallen, irgendjemand hat es eingerissen. Wer hat es getan, die Sasannach?«
Joan wand sich, sie brachte es nicht übers Herz, ihm die Wahrheit zu sagen. Vielleicht später, aber nicht jetzt, auch wenn er ein Recht darauf hatte zu erfahren, was mit seinem Volk passieren würde.
»Ja«, hauchte sie schließlich und entschied sich zu einer Halbwahrheit, »ja, aber ich weiß nicht, wann es geschehen wird. Ich habe mich nie sehr für Geschichte interessiert.«
Seiner Miene war nicht zu entnehmen, ob er ihr glaubte, doch fürs Erste schien er beruhigt zu sein; stattdessen erkundigte er sich, wie diese lauten Gefährte ohne Pferde funktionierten und lauschte staunend Joans Erklärungen.
»Bist du sicher, dass du dies alles nicht vermissen wirst?«, fragte er schließlich, nachdem Joan ihm von Telefon, Computer und der Reise der Menschen auf den Mond erzählt hatte.
Lächelnd schmiegte sie sich an ihn. »Nein, ich habe festgestellt, dass diese Dinge zwar sehr angenehm sind, aber man braucht sie nicht. Sie machen den Menschen nur faul und oberflächlich. Im einundzwanzigsten Jahrhundert bringt sich kaum noch jemand freiwillig in Gefahr, um einem anderen zu helfen.« Wohlweislich verschwieg sie, dass es freilich auch keine Todesstrafe bei Verbrechen mehr gab.
Ewan stand auf, um Holz nachzulegen, und Joan sah ihm bei dieser routinierten Tätigkeit voller Zärtlichkeit zu.
Als er zurück ins Bett kam, streckte sie ihm sehnsüchtig die Arme entgegen. Die wenigen Minuten an der Feuerstelle hatten seinen Körper abkühlen lassen, doch schon nach kurzer Zeit strahlte er wieder die gewohnte Wärme aus.
»Du bist etwas Besonderes,« sagte sie, den Kopf hebend und seinen Blick im Dämmerlicht suchend. »Du bist anders als die Männer im einundzwanzigsten Jahrhundert, aber das wollte ich lange nicht wahrhaben. Ich redete mir ein, ich könne dich nicht ausstehen.«
Lachend erwiderte er: »Aye, genauso war es bei mir auch. Und dabei ist mir völlig entgangen, dass ich mich längst in dich verliebt hatte. Nur meine Schwester spürte es, lange, bevor ich selbst drauf kam.«
Joan erzählte ihm von der getrockneten Blume, die sie noch immer sorgfältig aufbewahrte und bei deren Anblick sie plötzlich gewusst hatte, dass sie Ewan liebte.
Eng aneinander liegend, genossen sie die warme Nähe des Anderen und die Gewissheit, geliebt zu werden. In diesem Moment dachte Joan nicht an die Gefahren, die vor ihr lagen, nicht daran, dass sie sich möglicherweise den Rest ihres Lebens verstecken musste und auch nicht daran, Ewan auf dem Schlachtfeld zu verlieren.
Es ging ihr durch den Kopf, wie es gewesen wäre, wenn Ewan mit ihr durch den Zeittunnel gegangen wäre. Doch sie verwarf den Gedanken sofort. Er hatte einen ersten Eindruck von der modernen Zeit bekommen und sich fassungslos abgewendet.Joan hingegen hatte sich bereits mit ihrem neuen Leben abgefunden.
Für einen Moment dachte sie dann noch an ihre Mutter.
Trotz der Trauer um den Verlust hatte Joan kein schlechtes Gewissen. Sie hatte ihre große Liebe gefunden, ihre Mutter ein spätes Glück.
28. Kapitel
Die Nacht war sternenklar und eisig, als Joan und Ewan vor die Tür traten. Es hatte den ganzen Tag über geschneit und Ewan wollte sein Pferd im Schuppen verpflegen.
Hand in Hand standen sie da; Ewan hatte sich in sein Plaid gehüllt, während Joan sich ihren Umhang übergeworfen hatte. Fasziniert blickte sie sich um – das war nun ihre neue Heimat, ihr Zuhause, und sie liebte es schon jetzt.
»Siehst du dort oben den Abendstern?«, unterbrach Ewan die märchenhafte Stille und wies zum Himmel. Seine Stimme klang leise.
»Wenn man ihn erkennt, darf man sich etwas wünschen.«
Sie hob erstaunt die Augenbrauen. »Ist das wirklich so?«
»Nein.« Er hob die Schultern. »Aber es hört sich gut an, aye? Ich weiß noch nicht einmal, ob er es ist, eigentlich ist es schon zu spät.« Er nahm Joan sanft bei den Schultern und drehte sie zu sich, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte. »Ich habe nämlich einen Wunsch, und ich möchte, dass er sich erfüllt.«
Er nahm ihre Hände: »Willst du meine Frau werden, Seonag?« Er bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Ich werde morgen
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