Im Bann des Highlanders
plötzlich für Màiris Familie interessierte – vielleicht, weil sie selbst nie Geschwister hatte?
»Darla ist ein kleiner Wirbelwind, sie lacht viel und sieht noch aus wie ein ganz junges Mädchen, obwohl sie selbst schon ein Kind hat. Peader hat sich schon vor Jahren in meine Schwester verliebt, doch er hatte erst vor zwei Jahren den Mut, es ihr zu gestehen.«
Wie üblich saßen die beiden Frauen am Tisch vor ihren Webrahmen, für Joan waren es die schönsten Stunden des Tages und das nicht nur, weil sie dann Gesellschaft hatte, sondern auch, weil sie sich in Màiris Gegenwart wohl, ja fast geborgen fühlte.
»Aber Ewan und mich verbindet etwas ganz Besonderes«, fuhr Màiri mit sanfter Stimme fort. »Schon bei seiner Geburt wusste ich, dass er mein Lieblingsgeschwisterchen werden würde – obgleich ich damals erst fünf Jahre alt war und nicht ahnen konnte, wie vielen Kindern meine Mutter noch das Leben schenken würde.« Sie lächelte leicht. »Mein Gott, war Ewan ein hübscher kleiner Junge! Er konnte mit seinem Lachen jeden um den kleinen Finger wickeln, und ich fühlte mich fast wie seine zweite Mutter.«
»Da kann man mal sehen, was aus solch netten kleinen Jungen alles werden kann«, murmelte Joan trocken und sah erstaunt auf, als sie Màiri lachen hörte.
»Ewan ist nicht so schlecht, wie du denkst. Er redet übrigens sehr nett von dir, wenn wir uns über dich unterhalten.«
»Tatsächlich?« Joans Interesse war geweckt. »Was sagt er denn?«
»Oh, erst vorhin meinte er, dass er dich sehr attraktiv findet und es eine Schande ist, dass du Engländerin bist.«
Joan schnitt eine Grimasse. »Wie reizend von ihm. Hat er auch etwas darüber verlauten lassen, wie lange ich noch hier bleiben muss?«
»Ach Seonag, was soll er denn machen? Ihm sind doch die Hände gebunden, und ohne unseren Vater einzuweihen, kannst du die Burg nicht verlassen.«
»Schon gut, inzwischen weiß ich ja, dass ich als Engländerin jedem Schotten ein Dorn im Auge sein muss. Aber ich kann doch nichts dafür, du und deine Landsleute waren nie meine Feinde!«
»Wenn es sich so verhält, hast du nichts zu befürchten, wenn du die Wahrheit sagst«, gab Màiri leise zurück. Die lodernden Flammen des Kaminfeuers spiegelten sich in ihren sanften brauen Augen wider.
Die Vorbereitungen für Laird Dòmhnall MacLaughlins Geburtstag schienen zügig voranzugehen, jedenfalls berichtete Màiri jeden Tag von den Fortschritten. In ihrer Kammer bekam Joan von alldem nichts mit, sie hörte noch nicht einmal die Klänge der a’phiob 7 , die vor jeder Mahlzeit der Familie ertönte. Auch dies wusste Joan nur durch Màiris Erzählungen.
7 Dudelsack
Während der langen einsamen Stunden hatte Joan viel Zeit zum Nachdenken, und die schrecklichen Tage bei den Wegelagerern und im Kerker verblassten allmählich. Màiri sorgte dafür, dass Joan immer saubere Kleidung trug, hin und wieder baden konnte, und sie erneuerte jeden Tag das Wasser in der Waschschüssel. Auch zu essen und zu trinken bekam Joan genug, und ihre im Verlies eingefallenen Wangen waren verschwunden, doch durch die fehlende frische Luft wirkte ihr Teint noch heller und durchscheinender, als er von Natur aus war.
Manchmal gesellte sich auch Ewan zu ihnen, doch er zog es vor, Joan aufzusuchen, wenn diese alleine war. Wenn sie an ihn dachte, loderte wilder Zorn in ihr auf, für sie war er noch immer ein arroganter Widerling, wenn sich inzwischen auch ein anderes, unbekanntes Gefühl in Joan breit gemacht hatte.
Zwei Tage vor Dòmhnalls Geburtstag stieß Ewan zu den beiden Frauen, als sie abends beieinander saßen. Màiris Tartan war fast fertig, während Joans Webarbeit sich weiterhin auf einige unregelmäßige Reihen beschränkte.
»Zu schade, dass Ihr nicht an unserem Fest teilnehmen könnt«, sagte Ewan grinsend, zog sich einen Stuhl vor den Kamin und begann, mit einem dolchähnlichen Messer ein Stück Holz zu bearbeiten. »Dann hättet Ihr Gelegenheit, einige sehr wohlerzogene Damen kennen zu lernen.«
»Ewan! Sguir dheth 8 !« Màiri streifte ihren Bruder mit einem strafenden Blick, dann wandte sie sich mit einem entschuldigenden Lächeln an Joan, die eine finstere Miene aufgesetzt hatte. »Er meint es nicht so.«
8 Lass das sein
»Davon bin ich überzeugt. Dein Bruder ist die Liebenswürdigkeit in Person.«
Irgendwann steckte Ewan seinen Dolch in den Strumpf, warf das geschnitzte Holzstück ins Feuer und erhob sich. Bevor er die Kammer verließ, beugte er sich über Joan
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