Im Bann des Highlanders
Mutter.
Joan zog das Schultertuch fester um ihren Körper, und nach einem letzten sehnsüchtigen Blick schlich sie in die Kammer zurück, die ihr plötzlich noch winziger vorkam. Zu ihrem Erstaunen war Joan enttäuscht darüber, dass sie Ewan nicht mehr gesehen hatte – vielleicht bestieg er gerade das hübsche Mädchen, mit dem er geflirtet hatte.
Sie verzog unmutig den Mund, während sie sich auskleidete, um schlafen zu gehen. Was ging sie dieser Grobian an, der sie wie eine Verbrecherin behandelte? Unnötig, nur einen einzigen Gedanken an ihn zu verschwenden.
Màiris Klopfen weckte Joan am nächsten Morgen. Sie war abends sofort eingeschlafen.
»Hast du etwas sehen können?« erkundigte sich Màiri, die nun wieder ihre Alltagskleidung trug. »Es war ein wunderschönes Fest.«
Nachdem sich Joan den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, erwiderte sie: »Es muss ein sehr schönes und feuchtfröhliches Fest gewesen sein. Hinter dem Vorhang hatte ich einen wunderbaren Beobachtungsposten.« Am liebsten hätte sie Màiri nach dem gutaussehenden Mann gefragt, mit dem sie augenscheinlich etwas Vertrauliches verband. Aber sie wollte die Freundin nicht in Verlegenheit bringen, und so schwieg sie. Vielleicht würde Màiri ja von selbst auf diesen Mann zu sprechen kommen.
Zunächst jedoch wies diese sie darauf hin, dass die meisten Besucher noch in der Burg wären und erst im Laufe des Tages ihren Heimweg antreten würden.
»Wenn sie wieder nüchtern sind«, fügte sie schmunzelnd hinzu. »Ich habe erfahren, dass die Letzten erst im Morgengrauen zu Bett gegangen sind.«
Mit gemischten Gefühlen stand Joan auf; für sie bedeutete es ein weiterer einsamer Tag ohne Gesellschaft, denn Màiri musste sich als Tochter des Hauses um das Wohl der zahlreichen Gäste kümmern.
Am späten Nachmittag – Joan hatte stundenlang am Fenster der Kammer gestanden und sehnsüchtig hinaus gestarrt – klopfte es zweimal hart an die Tür. Noch bevor sie den Mund öffnen konnte, wusste sie, dass nicht Màiri um Einlass bat, sondern ihr Bruder, der dann tatsächlich wenige Sekunden später in voller Lebensgröße vor Joan stand.
»Nun, habt Ihr Euch Gedanken darüber gemacht, ob Ihr mir endlich die Wahrheit gestehen wollt, Mylady?«, fragte er ohne Begrüßung und stellte sich neben Joan ans Fenster.
»Ich hätte große Lust, meinem Vater ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk zu bereiten, indem ich ihm verrate, welch reizenden Gast er ohne sein Wissen unter seinem Dach beherbergt.«
Obwohl Joan innerlich bebte, wirkte sie völlig ruhig.
Sie wandte sie sich langsam zu Ewan um und musste sich zusammenreißen, um nicht loszubrüllen. Doch ihre Wut verebbte, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte – er lächelte äußerst freundlich.
Trotzdem beschloss Joan, sich nicht davon beeindrucken zu lassen, sondern gab in schnippischem Ton zurück: »Ihr könnt Euch Euren Sarkasmus sparen, Mylord. Euch scheint es großen Spaß zu machen, meine Hilflosigkeit auszunutzen. Aber ich kann Euch trotzdem nicht mehr sagen, als ich bereits getan habe.«
Er schnalzte leise mit der Zunge und schüttelte dabei nachsichtig den Kopf. »Seonag, Seonag. Warum seid Ihr nur so furchtbar verbohrt?« Genau wie seine Schwester trug Ewan nun auch wieder seine alltägliche Kleidung, was ihn allerdings nicht weniger attraktiv machte als der Galaaufzug.
Vor Joans innerem Auge erschien wieder die kurze Szene auf dem festlich erhellten Burghof. Ewan lächelte zärtlich, während er dem schönen Mädchen über das Gesicht strich.
»Habt Ihr Euch gestern Abend amüsiert?«, fragte sie spitz, ohne auf seine Frage einzugehen. »Màiri erzählte mir, dass der Geburtstag Eures Vaters ein gelungenes Fest gewesen sein soll.«
Bedächtig nickte er, während er die Arme verschränkte und sich gegen den Fenstersims lehnte. »Aye, man kann davon ausgehen, dass die Leute noch wochenlang darüber sprechen werden; übrigens musste mein Vater den Gästen immer wieder vom geheimnisvollen Verschwinden der Hexe erzählen.«
Was war nur los mit ihr? Sie konnte Ewan MacLaughlin doch nicht ausstehen, weshalb wurden dann bei seinem Anblick ihre Kniee weich?
Eine Weile musterte er sie stumm, dann sagte er erstaunlich sanft: »Ich muss Euch jetzt wieder alleine lassen, mo ghràidh 9 .« Er hob langsam die Hand, und einen Moment sah es fast so aus, als wolle er Joan ebenso streicheln wie das junge Mädchen, doch dann ließ er die Hand wieder sinken, setzte eine hochmütige Miene auf und
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