Im Bann des Highlanders
und als hätte sie sich verbrannt, zuckte Joan zusammen.
»Màiri sollte Euch eine andere Aufgabe zuteilen, für das Weben unseres Tartans scheint Ihr mir völlig ungeeignet zu sein«, sagte er, als er Joan das Webschiffchen reichte. Und obwohl seine Stimme so ironisch klang wie meistens, sagte sein Blick etwas ganz anderes.
Er schien in Joans grüne Augen einzutauchen – nur für ein paar Sekunden, doch das genügte, um sie aus dem Konzept zu bringen. Die spitze Bemerkung, die ihr auf der Zunge gelegen hatte, war vergessen.
Stumm standen sie sich gegenüber, bis sich Joan räusperte und so gleichgültig wie möglich fragte: »Warum helft Ihr mir nicht, aus dieser Gefangenschaft zu entkommen?«
Wie auf ein geheimes Kommando verschloss sich Ewans Miene wieder, er zuckte lässig mit den Schultern und sagte beiläufig: »Das kommt darauf an, ob Ihr mir die Wahrheit sagt.«
»Und wenn Ihr die Wahrheit wüsstet?«
»Dann würde ich entscheiden, ob ich meinem Vater von Eurem geheimen Versteck erzähle oder Euch gleich wieder in den Kerker werfen lasse.«
Wütend drehte sich Joan auf dem Absatz um, verschränkte die Arme und ging zum Fenster, wo sie sehnsüchtig erst auf die Bäume, dann in den blauen Himmel blickte. Es hatte keinen Zweck, mit Ewan kooperieren zu wollen, der sture Kerl ließ einfach nicht mit sich reden.
Flüchtig dachte sie daran, ihm eine Lügengeschichte aufzutischen, aber diesen Gedanken verwarf sie schnell wieder, denn Ewan war zu klug, um alles zu glauben ... allerdings würde er die Wahrheit auch nicht glauben.
Als sich Joan wieder umdrehte, war er verschwunden, und Tränen der Verzweiflung schossen ihr in die Augen. Es musste doch einen Weg geben.
Màiri zeigte sich erfreut, als Joan ihr später berichtete, dass ihr Bruder in der Kammer gewesen war. Auf Joans Bemerkung, dass man mit Ewan nicht reden könnte, winkte Màiri nur lächelnd ab und meinte: »In Wahrheit ist er ein liebenswerter Mensch, und man kann ihm bedingungslos vertrauen. Du siehst, er hat dich nicht bei unserem Vater verraten, wie er es versprochen hat.«
»Ich traue ihm trotzdem nicht«, murrte Joan, worauf Màiri vorsichtig entgegnete, dass das wohl auf Gegenseitigkeit beruhe.
Joan beschloss, nicht mehr an Ewan zu denken, sondern bat Màiri, ihr weitere gälische Wörter beizubringen. Und so verging ein weiterer Abend, ohne dass Joan einen Schritt weiter gekommen wäre in Bezug auf ihre Freilassung. Als sie später in ihrem schmalen Bett lag, nahm sie sich vor, Màiri zu verraten, dass sie eine Zeitreisende war – noch nicht am nächsten Tag, aber so bald wie möglich.
Lange würde Joan es nicht mehr ertragen, eingesperrt zu sein. Sie versuchte sich zu erinnern, wann sie in diese unselige Grube gestürzt war, dann fiel es ihr plötzlich wieder ein, die blaue Datumsanzeige am Armaturenbrett des Leihwagens sprang vor ihr geistiges Auge: Es war der 15. Juli 2005 gewesen.
15. Kapitel
Màiri machte ein nachdenkliches Gesicht, als Joan sie am nächsten Morgen nach dem Datum fragte. »Ich glaube, wir haben heute den 10. August. Wieso fragst du?«
»Ich möchte wissen, wie lange ich schon hier bin.« Wie jeden Tag mühte sich Joan mit der Verschnürung des Mieders ab, sodass Màiri ihr anbot, zu helfen. In wenigen Sekunden hatte sie das Band durch die Ösen gezogen und zum Abschluss mit einer Schleife versehen.
»Ist das so wichtig für dich?« Sie schielte vorsichtig zu Joan hinüber, die an diesem Morgen besonders unglücklich aussah. »Wenn es einen Weg gäbe, dir die Freiheit zu schenken, würde ich es tun, das weißt du.«
Resigniert ließ Joan die Schultern sinken, um sich gleich darauf an den Tisch zu setzen, auf dem ihr Frühstück stand. »Dein Bruder würde mich am liebsten wieder ins Verlies stecken, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er es wirklich tut. Außerdem ist es sehr wichtig zu wissen, wie lange ich in den Highlands bin ... es sind über drei Wochen.«
Màiri setzte sich ebenfalls und erwiderte nachdenklich: »Ich kann mir vorstellen, wie sehr du dich nach deinem Zuhause sehnst. Warum sagst du Ewan nicht endlich, wer du wirklich bist, Seonag? Vielleicht würde er sich dann etwas einfallen lassen, um dich aus der Burg zu schleusen. «Es gibt nur einen Weg in die Freiheit: Mein Vater muss dazu seine Einwilligung geben.«
Joan stöhnte leise auf, es war wie ein Teufelskreis, aus dem sie wohl niemals herauskommen würde.
»Ja, aber er darf doch gar nicht wissen, dass ich mich noch in der Burg
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