Im Bann des Highlanders
Marion die Brauen. »Wieso, ist das auf einmal so wichtig für dich?«
»Nein, nein. Ich bin nur gerade darauf gekommen, weil du mich neugierig gemacht hast.«
Marion erhob sich, um frisches Teewasser aufzusetzen. Trotz der grob gestrickten Jacke waren die sanft gerundeten Hüften und der volle Busen gut zu erkennen. Joan dachte flüchtig daran, dass Simons Eintreten in das Leben ihrer Mutter ein Segen war, denn sie war viel zu jung und attraktiv, um auf Dauer allein zu bleiben.
»Tut mir leid, so viel weiß ich auch nicht. Für mich hat deine Großmutter manchmal etwas gesponnen.« Marion stellte den Kessel auf den altmodischen Kohleherd, stutzte und sagte dann über die Schulter hinweg: »Aber vielleicht findest du Näheres in Großmutters Nachlass. Wenn ich mich nicht irre, gibt es auf dem Dachboden einen ganzen Karton voller alter Prospekte und Notizen.« Sie schüttelte leicht den Kopf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, was sie damit angefangen hat.«
Irgendetwas brachte Joan dazu, aufzuspringen. Eine innere Unruhe hatte von ihr Besitz ergriffen, die sie sich nicht erklären konnte. Instinktiv spürte sie, dass sie in Großmutters Nachlass den Schlüssel zu ihrem eigenen Schicksal finden würde.
»Wo genau befindet sich der Karton?«, fragte sie und blieb dicht vor ihrer verdutzten Mutter stehen. »Ich würde gerne einen Blick hineinwerfen.«
»Warum so eilig, hat das nicht Zeit bis nach dem Tee?« Marion brach ab. In den faszinierenden grünen Augen ihrer Tochter, meinte sie eine Art Unruhe zu erkennen. »Joan, was ist denn auf einmal in dich gefahren?«
»Nichts, ich dachte nur ... mich interessiert alles, was mit Großmutters Leben zu tun hat. Aber natürlich hat das Zeit bis nach dem Tee.«
Sie setzte ein munteres Lächeln auf und schlenderte betont langsam zu ihrem Stuhl zurück, um sich gleich darauf genauso lässig wie vorher hinzusetzen. Dabei wurde sie von Marions prüfendem Blick verfolgt, und erst, als Joan begann, über den wieder eingesetzten Regen zu schimpfen, entspannte sich Marion und setzte sich ebenfalls wieder.
Joan unterdrückte ein Niesen, als sie gegen Abend schließlich den Dachboden betrat. Der Staub, der sich in Jahrzehnten angesammelt hatte, reizte die empfindlichen Nasenschleimhäute, und als sie den Mund öffnete, um Luft zu holen, bekam sie sofort einen Hustenanfall.
Von ihrer Mutter wusste sie, dass sie den Dachboden nie gründlich aufgeräumt hatte und sich noch alte kaputte Möbel und Bilder des Vormieters dort befanden; doch Joans einziges Interesse galt einem Karton, von dem Marion gemeint hatte, er müsse sich in einer der alten Kommoden befinden.
Was würde sie in Großmutters Unterlagen finden, und würde es ihr weiterhelfen, sie von ihren schrecklichen Träumen zu befreien?
Erst in der untersten Schublade, dessen Holz völlig verzogen war und sich daher kaum öffnen ließ, stieß Joan auf einen eingedrückten, mit verblichenem Geschenkpapier beklebten Deckelkarton.
»Das muss er sein«, flüsterte Joan in die Stille hinein und zog den erstaunlich schweren Kasten hervor, der mit einem Paketband verschlossen war. Sie widerstand der Versuchung, an Ort und Stelle das Band zu lösen, sondern erhob sich aus der Hocke und bahnte sich vorsichtig ihren Weg zurück zur Tür, vorbei an zerbrochenen Stühlen und Körben mit uralten Einmalgläsern.
Von unten war Marions Stimme zu hören, offensichtlich telefonierte sie. Ihrem weichen Lachen nach zu urteilen schien sich am anderen Ende der Leitung Simon zu befinden.
Joan blieb am unteren Treppenabsatz stehen und wartete, bis ihre Mutter auf sie aufmerksam wurde. Dann gab sie ihr mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie sich ins Gästezimmer zurückziehen wollte. Flüchtig nickte Marion und wandte sich gleich darauf wieder ab, sie schien völlig gefangen zu sein in ihrem Gespräch mit dem Liebsten.
Das Zimmer, das sie stets bei ihren Aufenthalten in Totton bewohnte, war schlicht und zweckdienlich eingerichtet. Ein schmaler Kleiderschrank mit passender Wäschekommode, ein Metallbett mit leicht durchgelegener Matratze sowie ein Tischchen mit altmodischem Cocktailsessel bildeten die gesamte Einrichtung. Die Blümchentapete an den Wänden hatte schon bessere Tage gesehen, aber Joan fühlte sich wohl in diesem kleinen Raum.
Während sie sich auf dem quietschenden Bett niederließ, fragte sie sich, ob sie hier wohl besser als in London würde schlafen können. Den Pappkarton stellte sie vor sich auf die gesteppte
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