Im Bann des Highlanders
Meilen hinter London ließ der Regen nach, und kurz vor dem Ziel hörte er schließlich völlig auf. Joan hasste das englische Wetter, trotzdem hätte sie niemals woanders leben wollen.
Marions Haus schien seit Joans letztem Besuch noch schäbiger und baufälliger geworden zu sein; die vom Regen nassen Mauern glänzten abweisend, sodass Joan unwillkürlich ein Schauer über den Rücken lief. Sie dachte mit schlechtem Gewissen an ihr helles modernes Appartement und nahm sich vor, ihrer Mutter zum wiederholten Male vorzuschlagen, ebenfalls nach London zu ziehen, obwohl sie bereits die Antwort kannte.
Marion war in Southampton geboren, dort waren ihre Wurzeln, das betonte sie immer wieder. In der Ortsmitte von Totton hatte sie mit Mann und Tochter ein hübsches Haus mit kleinem Garten bewohnt, das sie jedoch nach Pauls Tod hatte verkaufen müssen.
Als Joan aus ihrem Wagen stieg, stand ihre Mutter bereits lächelnd mit verschränkten Armen an der geöffneten Haustür. Sie sah gelöster und hübscher aus, als Joan sie in Erinnerung hatte, und als ihre Tochter näher trat, breitete sie die Arme aus.
»Ich freue mich, dass du endlich Zeit gefunden hast, mich wieder einmal zu besuchen«, sagte sie, während sie Joan umarmte. »Wir haben uns so lange nicht gesehen.«
Joan presste ihre Mutter an sich, die so vertraut nach Lavendel roch wie eh und je. Dann schob sie sie ein wenig von sich weg und fragte mit gespielt strenger Miene: »Soll das etwa ein Vorwurf sein? Du siehst übrigens blendend aus.«
»Oh, vielen Dank, ich fühle mich auch so.« Sie trat einen Schritt zur Seite und nahm Joan bei der Hand. »Natürlich ist das kein Vorwurf, Liebes. Ich weiß doch, dass du schwer arbeiten musst, deshalb freue ich mich doch auch so, weil du trotz allem ein paar Tage bei mir verbringen möchtest.« Marion warf einen skeptischen Blick zum Himmel. »Komm lieber ins Haus, bevor der nächste Regenschauer einsetzt. Das Gepäck können wir später holen.«
Drinnen war es angenehm warm, und aus der Küche drang der Duft nach Tee und Gebäck in den engen Flur.
»Ich hab ein paar Muffins gemacht«, sagte Marion schmunzelnd, als sie bemerkte, wie ihre Tochter schnuppernd ihr hübsches Näschen in die Luft hob. »Ich kann es kaum erwarten, dir meine Neuigkeiten zu verraten. Aber zuerst möchte ich wissen, wie es dir geht, du siehst irgendwie ... nun ja, unglücklich aus.«
Joan hatte ihrer Mutter noch nie etwas vormachen können, und so redete sie nicht lange um den heißen Brei herum, sondern gab zu, dass die letzten Wochen in der Agentur mehr als hart gewesen waren.
»Es war lieb von Ted, dir ein paar Tage freizugeben«, meinte Marion, als sie ihrer Tochter gegenüber saß und ihr den Teller mit den noch warmen Muffins hinschob. Sie war etwas größer als Joan und hatte sehr weibliche Formen, ihr dunkles, mittellanges Haar trug sie wie meistens am Hinterkopf zusammen gebunden.
Und trotzdem schien sie verändert zu sein, in ihren grauen Augen schimmerte ein warmer Glanz und um ihren Mund spielte ununterbrochen ein sanftes Lächeln.
Joan fluchte leise, als sie sich an dem viel zu heißen Tee die Zunge verbrühte, nahm sich ein Muffin und biss vorsichtig hinein. Ihr Blick war prüfend, als sie beiläufig fragte: »Und wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen? Du strahlst, als hättest du im Pferderennen gewonnen.«
»Viel besser!« Marion lachte laut auf. »Ich habe mich wieder verliebt, aber das ist noch nicht alles. Seit einer Woche arbeite ich bei Miller’s und verdiene das Doppelte wie vorher.«
»Du meinst diese Konservenfabrik in Southampton?«
»Ganz genau. Zufällig erfuhr ich, dass dort Leute gesucht werden und stellte mich noch am selben Tag vor. Ich bekam sofort den Job.« Marion hob leicht die Schultern. »Sicher, es ist eine eintönige Arbeit, den ganzen Tag Konservendosen auf Paletten zu stapeln, aber das Geld kann ich gut gebrauchen.« Sie blickte sich mit gerunzelter Stirn um. »Wie man sehen kann, ist hier alles mehr als renovierungsbedürftig.«
Joan griff nach Marions Hand. »Ma, ich habe dir schon so oft angeboten, dich finanziell zu unterstützen. Warum bist du so stolz und nimmst meine Hilfe nicht an?«
»Ich möchte keine Hilfe«, entgegnete ihre Mutter mit Nachdruck. »Ich war niemals auf jemanden angewiesen, und dabei wird es auch bleiben.« Die letzten Worte hatte sie mit Nachdruck gesprochen, sodass Joan es für das Beste hielt, das Thema zu wechseln.
»Okay, dann wirst du mir vielleicht
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