Im Bann des Highlanders
Tagesdecke und betrachtete ihn nachdenklich; plötzlich scheute sie sich davor, in Großmutter Fionas Geheimnissen zu stöbern.
Doch dann gab sie sich einen Ruck, streifte mit flinken Fingern das grobe Band ab und öffnete den Deckel. Auf den ersten Blick erkannte sie vergilbte Reiseprospekte und Landkarten und verzog das Gesicht.
»Na super! Großmutter plante offenbar zu verreisen, aber wozu hat sie den Ramsch aufgehoben?« überlegte Joan laut und nahm mit spitzen Fingern einen der Prospekte heraus.
‚Besuchen Sie die schottischen Highlands und verfallen Sie dem Zauber längst vergangener Kulturen!’, prangte Joan die Überschrift in altmodischen Buchstaben entgegen.
Spöttisch kräuselten sich Joans Lippen, sie hatte sich nie für Geschichte interessiert, weder für die englische noch für die schottische.
Auf einem der Fotos war eine Burgruine namens Glenbharr Castle abgebildet, die sich in der Nähe eines kleinen Städtchens in einer waldreichen Gegend befinden sollte.
»Wie romantisch.« Joan konnte nicht umhin zu grinsen. Marion hatte nie erwähnt, dass ihre Mutter sich für alte, verrottete Gemäuer interessiert hatte – oder war dieses Interesse erst in späteren Jahren gekommen, als sie versuchte, nach ihren Ahnen zu forschen?
Joan legte den Prospekt beiseite und blickte neugierig in den Karton, dort fand sie weitere Reiseprospekte, handschriftliche Aufzeichnungen über Zugverbindungen nach Edinburg und den Fahrplan eines Edinburger Busunternehmens, das Fahrten nach Inverness anbot.
Was hatte Großmutter Fiona dort oben in den schottischen Highlands gewollt, was hatte sie gesucht? Die flüchtig aufs Papier gesetzten Notizen gaben keinen Aufschluss darüber, aber Joan fiel auf, dass fast alle Prospekte dieselbe Sehenswürdigkeit anboten: Glenbharr Castle, Zeuge aus der Zeit der Clans und Kilts.
Noch während Joan ein vergilbtes Bild der Ruine betrachtete, sah sie aus den Augenwinkeln in einer Ecke des Kartons etwas blinken, und als sie den Gegenstand näher betrachtete, entpuppte er sich als ein Schmuckstück.
Behutsam nahm Joan es auf, um es sich genauer anzusehen. Es handelte sich um ein angelaufenes silbernes Amulett, seine Form war kreisrund, in der Mitte schien eine Art Rune oder keltisches Zeichen eingraviert zu sein. Befestigt war das Amulett an einem schmalen, zerschlissenen Lederband.
»Joan?« Marions Stimme vor der Tür zerriss die Stille, und vor Schreck ließ Joan das Amulett fallen, das daraufhin mit einem metallenen Geräusch auf den Dielen des Holzfußbodens aufschlug. »Kommst du zum Essen?«
Joan räusperte sich: »Ja, ich will mich nur etwas frisch machen.«
»In Ordnung, aber halte dich nicht zu lange auf, sonst werden die Steaks kalt«, drang Marions gedämpfte Stimme durch die Tür. Gleich darauf entfernten sich die Schritte, und Joan glitt auf den Fußboden, um nach dem Amulett zu suchen.
Sie fand es unter dem Bett, inmitten einer dicken Staubschicht. Sorgfältig legte Joan das Schmuckstück zurück in den Karton und schloss den Deckel.
Sie hatte sich mehr erwartet von Fionas Vermächtnis, aber noch war nicht der gesamte Inhalt des Kartons durchsucht worden; dies wollte Joan nachholen, sobald ihre Mutter schlafen gegangen war.
»Ist dir bekannt, dass Großmutter nach Schottland gefahren ist?«, fragte Joan, als sie wieder auf ihrem Stammplatz am Küchentisch saß. »Ich habe eine Menge Reiseprospekte gefunden.«
Zustimmend nickte Marion, während sie ihrer Tochter einen Teller vor die Nase stellte. »Sie hatte tatsächlich vor, dorthin zu fahren, weiß der Kuckuck, was sie da wollte. Diese Reise hatte sie fest eingeplant, sogar das Zugticket hatte sie sich schon besorgt.«
»Woher weißt du das?«
»Sie erzählte es mir, als ich sie einmal besuchte. Ich riet ihr wegen ihres schwachen Herzens davon ab, aber sie beharrte darauf und murmelte, dass sie unbedingt dorthin müsse. Fast klang es, als läge ein Zwang in ihren Worten.«
Langsam griff Joan nach ihrem Besteck. Das Steak roch köstlich, trotzdem verspürte sie keinerlei Appetit. »Warum ist sie letztendlich doch nicht gefahren?«
»Kurz nach meinem Besuch erlitt sie einen weiteren Herzinfarkt.« Marions Blick wurde traurig und ihre Stimme senkte sich. »Davon hat sie sich nicht erholt. Wochen später starb sie im Krankenhaus. Sie war noch viel zu jung zum Sterben.«
Genau wie Marion war auch Fiona schon als junge Frau Mutter geworden und früh verwitwet.
Erschüttert stellte Joan fest, dass Marions Augen
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