Im Bann Des Jaegers
jetzt klar. Er war zugänglich und reizend gewesen, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Kane hatte seine eigenen Ehrbegriffe, und niemand – noch nicht einmal sie – würde ihn von etwas abbringen, wenn er es für richtig hielt. Sie hätte es sich ja denken können. Einen gefährlichen Mann erkannte sie auf den ersten Blick, und sie hatte ihn zum Teil gerade deshalb gewählt, weil er gefährlich war – sie hatte gewusst, dass Kane bis zu seinem letzten Atemzug für ihre Sicherheit kämpfen würde, falls sie Whitney entkam. Nachdem sie jetzt gesehen hatte, was das nach sich zog, konnte sie nicht einfach wütend auf ihn sein.
Sie rannte zur Tür und hielt ihn in dem Moment dort auf, als er sie öffnen wollte. »Kane.«
Er drehte sich zu ihr um und sah sie mit seinen durchdringenden, unerbittlichen Augen an.
»Pass auf dich auf. Komm zu uns zurück.«
»Keine Sorge, Liebling.«
Kane lächelte Rose an und schlüpfte in die Nacht hinaus, in der er sich heimisch fühlte.
Dunkelheit brachte Freiheit mit sich. Er war dazu geboren, über die Nacht zu herrschen. Jetzt blickte er zum Nachthimmel auf. Überall waren Sterne, und er konnte die Milchstraße sehen. Seine Eingeweide, die sich verkrampft hatten, als Rose ihm widersprochen hatte, entspannten sich, und alles in ihm kam zur Ruhe. Das war seine Welt. Mit ihr war er vertraut, und er fühlte sich wohl in ihr. Hierher gehörte er.
Da er jetzt seinen Entschluss gefasst hatte, gab es kein Zögern mehr. Rose konnte nicht mit dem leben, was Fargo vorhatte, und das bedeutete, sowohl Carlson als auch Fargo würden heute Nacht sterben. Carlson musste als Erster aus dem Weg geräumt werden, denn selbst wenn Rose ein noch so guter Soldat war, so war sie doch in erster Linie seine Frau, und das hieß, dass er sie beschützen würde, ob es ihr gefiel oder nicht. Das war sein vorherrschender Charakterzug, und Rose musste sich darüber klarwerden, denn bloß weil sie ein fähiger, ja, sogar ein hervorragender Soldat war, würde sein Beschützerinstinkt nicht einfach von ihm abfallen. Er würde sie niemals wissentlich einer Gefahr aussetzen, und schon gar nicht, wenn sie gerade erst vor einer Woche ein Kind geboren hatte.
Er schüttelte den Kopf. Er würde Rose niemals verstehen, nicht mal nach einer Million Jahren des Zusammenlebens, und er sah, dass sie genauso große Probleme damit hatte, ihn zu verstehen. War das bei allen Männern und Frauen so? Oder nur bei Männern wie ihm? Er konnte ein ausgemachter Mistkerl sein, wenn die Situation es verlangte. Mit Beziehungen hatte er so gut wie keine Erfahrung. Er hatte Liebschaften gemieden, bis er gesehen hatte, wie Rose ihn durch ihr Fenster betrachtet hatte. Sie war zu seiner Prinzessin geworden, die in einem Turm eingesperrt war, und er war der edle Ritter, der zu ihrer Rettung herbeigeeilt war.
Kane begann zu laufen, in dem gleichmäßigen Tempo, das er notfalls über Stunden durchhalten konnte, da es ihn nicht anstrengte. Inzwischen war er mit der Umgebung vertraut, weil er sie eine Woche lang durchkämmt hatte. Er kannte jeden Felsbrocken und jeden kleinsten Strauch. Er kannte jede Stelle, an der Wüstengras wuchs, und er kannte auch die dunklen, fruchtbaren Stellen, die einen Hinweis auf eine unterirdische Wasserquelle gaben.
Er näherte sich dem feindlichen Lager von Süden her, gegen den Wind. Er konnte einen schwachen Lichtschein sehen, sah jedoch nicht gleich die Lichtquelle und duckte sich, um sich nicht als Silhouette abzuzeichnen. Dann verlangsamte er sein Tempo und pirschte sich verstohlen an sein Opfer heran. Der penetrante Gestank von Blut schlug ihm entgegen, als er die Kuppe des Hügels erreichte, von dem aus das Lager zu sehen war.
Carlson und Fargo hatten ihr Lager zwischen zwei Hügeln verborgen, was ihnen nicht nur Schutz bot, sondern es ihnen auch gestattete, ein Feuer anzuzünden, wenn sie wollten. Wenn man nicht darüber stolperte, war das Lager unmöglich zu sehen. In der Umgebung lagen leere Flaschen auf dem Boden verstreut. Dies war kein Feldlager von Soldaten, sondern man hatte eher den Eindruck, ein paar Männer verbrächten hier ihre Ferien.
Große Blutkleckse bildeten eine Spur im Sand, unappetitliche dunkle Schmiermale, die zu dem schwachen flackernden Lichtschein führten. Ein gequälter Schrei, animalisch und unmöglich zuzuordnen, sandte Schauer über Kanes Rücken. Er hatte erlebt, wie Männer gefoltert wurden, und war selbst auch schon gefoltert worden, und er kannte den Klang.
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