Im Bann des Maya-Kalenders
lauert.
Die Hörigkeit seiner Anhänger stimulierte Jones weiter. Seine perverse Fantasie trieb ihn an, immer neue Rituale zu ersinnen. Am Schluss schien ihn nur noch die ultimative Idee von der Apokalypse in seiner Rolle als Erlöser zu befriedigen. Mit dem kollektiven Drama vollendete er sein »Gesamtkunstwerk«. Im Moment des eigenen Todes schlüpfte er in die Haut von Jesus.
Jim Jones täuschte seinen Anhängern mit simplen Taschenspielertricks messianisches Charisma und göttliche Kräfte vor. Wie Jesus vollzog er »Heilungen« oder holte Tote vermeintlich ins Leben zurück. Geblendet von der »göttlichen Gnade« ihres »Vaters Jim« sanken die Gläubigen weinend in die Knie und verehrten den »wundertätigen« Jünger Jesus. Dabei hatte Jones ein leichtes Spiel: Sein Indoktrinationssystem und die massensuggestiven Rituale in den Gottesdiensten benebelten das Bewusstsein der Anhänger. Sie nahmen Jones ab, der neue Messias zu sein, der ihnen exklusiv das Seelenheil und die Erlösung vermitteln werde.
Bei seinen Tricks erreichte Kultführer Jones höchstens die Geschicklichkeit eines drittklassigen Gauklers. Mehr wäre allerdings Luxus gewesen, denn seine Anhänger wollten ihm gar nicht in die Karten schauen. Wer an Jones zweifelte, versündigte sich. Und niemand wollte sich um die Illusion bringen, in der Gnade des »neuen Messias« zu stehen. Ein kritischer Blick hinter die Sektenkulisse hätte fatale Folgen gehabt, ja zu einer existenziellen Bedrohung geführt. Deshalb flüchteten sich die Anhänger mit Euphorie in die heile Scheinwelt und glaubten an die göttlichen Kräfte ihres Führers.
Magische Prognosen, wundersame Heilungen
Zu Jones Repertoire der Überraschungseffekte gehörten die telepathischen »Ferndiagnosen«. Der vermeintliche Heilsbringer hielt beispielsweise während eines Gottesdienstes plötzlich inne, schloss die Augen, schien in Trance zu verfallen und rief einen Namen in den Saal. Das angesprochene Mitglied meldete sich erwartungsvoll, und Jones sprach eindringlich auf es ein. Gott habe ihm seine Krankheit angezeigt, es leide unter einem starken Bandscheibenvorfall, die Lähmungserscheinungen im Bein hervorrufen würden.
Die aufgerufene Frau humpelte nach vorn und erzählte von ihrem Rückenleiden, das sich exakt so äußere, wie Jones dies in seiner Hellsichtigkeit beschrieben habe. In Erwartung einer »göttlichen Heilung« – die Gemeinschaft der Gläubigen kannte den Ablauf – fiel die Frau in eine Verzückung. Sie durfte nicht nur auf eine Schmerzlinderung hoffen, sondern auf ein »Wunder«, das Gott an ihr vollbringen würde. Jones machte aus der »Heilung« ein religiöses Ritual, das der Frau gleichzeitig bestätigte, dass sie in der Gnade Gottes stand.
Jones ermunterte die Anhängerin, mit aller Kraft an Jesus zu denken und ihn um Hilfe zu bitten. Mit einer beschwörenden
Zeremonie erzeugte er eine massensuggestive Atmosphäre und befahl der Frau, aufzustehen, umherzugehen und Turnübungen zu machen. In der Regel führten die euphorischen Gefühle zur Ausschüttung von Endorphinen, die die Schmerzen betäubten. Unter eindringlicher Musik und dem lauten Beifall der Gemeinde fiel die überglückliche Frau dem »Heiler« um den Hals und weinte vor Ergriffenheit. Humpelte die »Geheilte« nach ein paar Tagen wieder schmerzgeplagt umher, hatte Jones eine einfache Erklärung: Jesus habe den Heilungsprozess abgebrochen, weil ihr Glaube nicht stark genug sei oder sie sich inzwischen wieder versündigt habe.
Jim Jones »operierte« sogar vor versammelter Gemeinde Tumore und Krebsgeschwüre. Nach erfolgreichem »Eingriff« präsentierte er stolz das zerstörerische Gewebe. Ehemalige Vertrauensleute von Jones erklärten nach dem Massaker, sie hätten jeweils Innereien von Hühnern präparieren müssen. Die Operationen mit den bloßen Händen erinnern an die Geistheiler auf den Philippinen, die wöchentlich Hunderten von Patienten aus Europa und den USA nach dem gleichen Prozedere und im Schnellverfahren tödliche Geschwüre »entfernen«.
Mit solchen Tricks polierte Jim Jones bei den Anhängern sein Image als »Messias« auf. Und an diesen »Beweisen« prallten die kritischen Einwände der Angehörigen ab. Gläubige, die solche »Wunderheilungen« erlebt hatten, waren felsenfest überzeugt, dass der Führer der Volkstempler über einen direkten geistigen Kanal zum Himmel verfügte.
Jones ging noch dreister vor, wenn er »Sterbende« vor dem Tod bewahrte oder Tote »erweckte«.
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