Im Bann des Maya-Kalenders
kürzeren Abständen Selbstmordübungen durch, die er zunehmend realistischer inszenierte und die in einer Hauptprobe gipfelten. Der apokalyptische Countdown hatte begonnen.
Die Behörden wurden erst etwa ein Jahr vor dem Drama hellhörig, als der ehemalige stellvertretende Staatsanwalt von San Francisco, Tim Stoens, die Sekte verließ und seine Erlebnisse den Justizorganen schilderte. Die Flucht nach vorn trat Stoens aus Angst um seinen Sohn an, der sich geweigert hatte, die Sekte zusammen mit ihm zu verlassen. Die Schilderungen des hohen Justizbeamten über das Terrorregime, das Jones im Urwald von Guayana aufgezogen hatte, schreckten Behörden und Öffentlichkeit allmählich auf.
Wie in einem Konzentrationslager
Die Intervention von Stoens machte verschiedenen Angehörigen der Sektenmitglieder Mut, mit einer gemeinsamen Aktion die Behörden aufzurütteln. Am 10. Mai 1978 schrieben 57 Angehörige von Jones-Anhängern in ihrer Verzweiflung dem damaligen Außenminister Cyrus Vance einen Brief. Sie hätten Beweise, dass ihre Verwandten wie in einem Konzentrationslager unter Todesandrohung und mit Waffengewalt am Verlassen des Zentrums gehindert würden. Außerdem habe Jones das Geld und die Pässe seiner Anhänger konfisziert. Es sei ihnen verboten, mit den Angehörigen zu telefonieren, außerdem würden die Briefe kontrolliert und zensiert, teilten sie Vance mit.
Die US-Regierung nahm die Hilferufe der Angehörigen endlich ernst. Im November 1978 schickte sie eine Delegation unter der Leitung des Kongressabgeordneten Leo Ryan nach Guayana,
um die Situation vor Ort zu klären. Jones empfing die Besucher nach längerem Zögern und präsentierte ihnen eine scheinbar glückliche Glaubensgemeinschaft. Doch der Schein trog. Als die Delegation aufbrechen wollte, flehten viele Sektenanhänger Ryan an, sie mit nach Hause zu nehmen. Der Regierungsvertreter erklärte sich einverstanden, die leeren Sitze in seinem Flugzeug Volkstemplern zur Verfügung zu stellen. Jones witterte eine Verschwörung und schleuste einen seiner Sicherheitsmänner in die Gruppe der Abtrünnigen ein. Er hatte den Auftrag, das Regierungsflugzeug zum Absturz bringen.
Am 17. November brach die Delegation auf. Als der Vertrauensmann von Jones im Flugzeug keinen Platz mehr fand und er seine tödliche Mission nicht in der Luft vollbringen konnte, führte er den Auftrag des Sektenführers auf dem Flughafen Port Kaituma aus. Er schoss zusammen mit weiteren Mitgliedern der Jones-Garde fünf Vertreter der Regierungsdelegation nieder. Das unerwartete Massaker setzte Jones in Zugzwang. Er begann sofort mit dem Countdown des vielfach erprobten Endzeitszenarios.
Auf dem Gelände der Sekte spielten sich dramatische Szenen ab. Die Polizei fand Tonbandaufnahmen, die den Ablauf dokumentieren. In seiner letzten Predigt beschwor der Sektenführer die Liebe und Ergebenheit der rund 1000 verbliebenen Gläubigen. Sie müssten mit ihm sterben, wenn sie nicht von den bösen Mächten zerstört werden wollten, hämmerte Jones ihnen ein. Außerdem rief er die Gemeinde auf, würdevoll in den Tod zu gehen. Und er versprach seinen Anhängern, sie würden sich bald an einem andern Ort wiedersehen. Anschließend befahl er den Müttern per Lautsprecher, zuerst den Kindern das Gift zu geben und zu prüfen, ob sie das tödliche Getränk auch richtig schlucken würden. Vielen wurde das Zyankali mit einer Spritze tief in den Mund gegeben. Gleichzeitig wies Jones die Frauen an, den Kindern zu verheimlichen, dass das Getränk höllische Schmerzen auslösen werde.
Die Geräusche auf dem Tonband belegen, dass sich chaotische Szenen abgespielten. Jones stieg von seinem Podest und spornte die Anhänger an, rasch vorwärts zu machen und die Mixtur aus Gift und Limonade, die der Arzt Lawrenze Schanct zusammengebraut hatte, zu trinken. Obwohl Wachposten das Gelände kontrollierten, gelang es einzelnen Anhängern, in den Dschungel zu flüchten. Den Tod vor Augen, wachten doch noch ein paar Gläubige aus dem realen Sektenalbtraum auf.
Fliehende, die von den Sicherheitskräften erwischt wurden, mussten mit einer Pistole am Kopf den Giftbecher trinken oder wurden auf der Stelle exekutiert. Die Übrigen starben zu Hunderten innerhalb kurzer Zeit einen qualvollen Gifttod.
Jones-Anhänger Tim Carter überlebte das Massaker
Zu den Überlebenden gehörte Tim Carter. Auch heute noch, mehr als 30 Jahre nach dem Drama von Jonestown, kann er nicht fassen, was am 18. November 1978 im Urwald von Guyana
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