Im Bann des Maya-Kalenders
Angeles). Jones konnte auch mit den Empfehlungsschreiben vieler Kongressabgeordneter auftrumpfen. Die Gunst der ehemaligen First Lady Rosalynn Carter hatte sich Jones gesichert, indem er seine Kolonne im Wahlkampf für Jimmy Carter in Bewegung gesetzt hatte. Gegen die geballte Lobhudelei dieser Ehrenleute kamen die warnenden Stimmen der Aussteiger und Angehörigen nicht an.
Jim Jones entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einem Sadisten, der seine Anhänger peinigte und seelisch quälte. Mit einem variantenreichen Repressionsrepertoire befriedigte er seine perversen Bedürfnisse und kostete seinen Machtdrang aus. Die totale Verfügungsgewalt über seine Anhänger beflügelte seine Allmachtfantasien. Der Sektenführer entmündigte die Gläubigen, beraubte sie im Namen von Christus ihrer Würde und machte sie restlos von sich abhängig. Indem er ihr Selbstwertgefühl untergrub, ihre Entscheidungsfreiheit beschnitt und ihnen apokalyptische Ängste einflößte, perfektionierte Jones sein Unterdrückungssystem und machte es zum Instrument seiner Heilslehre: Wer sich nicht unterwarf, demonstrierte, dass er vom Satan besessen war und bei der bevorstehenden Apokalypse nicht zu den Erlösten gehören werde, erklärte Jones.
Die Volkstempel-Sekte war ein klassischer Endzeitkult. Jim Jones hatte den ersten Weltuntergang bereits für den 15. Juli 1967 vorhergesagt. Die Fehlprognose überstand er unbeschadet. Gegen die Überzeugungskraft und die Ausstrahlung eines religiösen Fanatikers sind eingeschüchterte Gläubige machtlos. Jones erklärte mit entwaffnender Selbstverständlichkeit, Gott habe seine Pläne für die Menschheit kurzfristig geändert.
Der Prophet brauchte seine Glaubensgemeinschaft, um seine krankhaften Neigungen auszuleben. So erklärte der »Messias« seine perversen Praktiken zum Heilsritual. Wer sich sträubte, lehnte sich angeblich gegen Gott auf. Alles, was der Sektenführer anordnete, verstanden die Anhänger als Anweisung Gottes. Und so unterwarfen sich die konditionierten Anhänger selbst Praktiken, die im Widerspruch zu den eigenen moralischen Werten und religiösen Ideen standen.
Zur Züchtigung seiner Anhänger benutzte Jim Jones unter anderem eine 1,2 Meter lange Holzlatte. Perfiderweise nannte er das Schlaginstrument den »Aufsichtsrat«, wie die beiden ehemaligen Jones-Anhänger Phil Kerns und Doug Wead in ihrem Buch Das Geschäft der Verführer schreiben: »Ein Mädchen erhielt 75 Hiebe damit, weil es eine alte Freundin umarmt hatte, von der Jones glaubte, sie sei lesbisch. Nach den Prügeln mussten die reuigen Sünder ›Danke, Vater‹ sagen. Danach umarmte Jones sie, beteuerte ihnen ›Vater liebt dich‹ und versicherte ihnen, dass sie jetzt ›stärker seien‹.«
Kontrolle bis ins Ehebett
Jim Jones verfügte bis in die intimsten Bereiche über seine Anhänger. Ehepaare mussten die Erlaubnis einholen, um sexuell miteinander verkehren zu dürfen. Hingegen mussten sich die Frauen stets zu seiner Verfügung halten. Es war eine »Ehre«, vom selbsternannten Propheten auserwählt zu werden. Die sexuelle Ausbeutung kaschierte er als religiöses Ritual. Laut Kerns und Wead präsentierte er sich als Wohltäter, der sich für seine Anhänger sexuell verausgabte und große Opfer brachte. In Wahrheit war er wie verschiedene andere Kultführer sexuell besessen. Obwohl er die Homosexualität mit dem Hinweis auf die Bibel verdammte, soll er auch mit Männern verkehrt haben.
Gläubige, die sich im Namen Gottes derart erniedrigen und
entwürdigen lassen, verlieren die Selbstachtung und sind gezwungen, ihre Identität auf den Sektenführer und die Gruppe zu stützen. Anhänger radikaler Bewegungen müssen sich von der angeblich gottlosen und deshalb bedrohlichen Umwelt isolieren und in die innere Emigration flüchten. Im Lauf von Monaten und Jahren sind sie nur noch innerhalb der Religionsgemeinschaft funktionsfähig. Sie binden sich mental und existenziell, wie das Beispiel der Jones-Sekte zeigt.
Diese Dynamik wirkt sich auch für die Sektenführer verhängnisvoll aus. Die Verehrung und bedingungslose Unterwerfung der Anhänger fördert ihre Verblendung. Die Überzeugung frisst sich immer tiefer in ihr Bewusstsein, der neue Messias oder Weltenlehrer zu sein. Sie machen sich zur Projektionsfläche der übersteigerten Sehnsüchte ihrer Anhänger, die sich vom Kultführer die Erlösung erhoffen. So schaukeln die Religionsgründer und ihre Jünger sich gegenseitig in eine Scheinwelt, in der der Wahn
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