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Im Bann des Maya-Kalenders

Im Bann des Maya-Kalenders

Titel: Im Bann des Maya-Kalenders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Stamm
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Vor versammelter Anhängerschar fiel er in Trance und sah im Geist ein Telegramm, das den Tod einer Frau ankündigte. »Kennt jemand Frau X?« fragte er die Gemeinde. Tief erschrocken meldete sich jeweils ein Anhänger, dem der Sektenführer seinen Trost spendete. Er werde es nicht zulassen, dass die Frau sterben müsse, verkündete er der aufgeregten Glaubensgemeinschaft. »Ich werde ihr das Leben
zurückgeben«, versicherte der »Messias«. Erneut mimte Jones einen tranceähnlichen Zustand und beglückte die Gemeinde bald mit der frohen Botschaft, er könne deutlich sehen, dass die Frau wieder wohlauf sei. Für die Gläubigen war nun klar, dass Gott seinem »Messias« Jim Jones die gleichen Heilkräfte zukommen ließ, wie sie Jesus bei seinen Wunderheilungen demonstriert hatte. Deshalb schrieben sie Jones eine ähnliche Rolle in der Heilsgeschichte zu wie dem Sohn Gottes.
    Spione horchten Sektenmitglieder aus
    In Wirklichkeit funktionierten die Tricks nach einem einfachen Muster. Ein kleiner Kreis ausgewählter Kaderleute baute ein Kommunikationsnetz auf und sammelte intime oder private Informationen über die Mitglieder. So war Jones über die körperlichen und psychischen Probleme seiner Leute bestens informiert, und es war für ihn kein Kunststück, treffsichere Diagnosen zu stellen und die Gläubigen zu blenden. Jones gaukelte den Anhängern auch bei jeder Gelegenheit vor, er könne durch Wände sehen, ihre Gespräche auf Distanz mithören und ihre Gedanken lesen. So benutzte er die simplen Tricks als perfektes Instrument der Bewusstseinskontrolle: Die Mitglieder wagten nicht, allfällige Zweifel an seiner Rolle oder den Heilsversprechen andern mitzuteilen. Die angeblichen Heilungen wurden zur Indoktrinationsfalle.
    Der Sektenführer weckte bei seinen Anhängern auch gezielt Verfolgungsängste, um sie an die Gruppe zu binden und sie von der Familie zu entfremden. Ein eindrückliches Beispiel schildern Phil Kerns und Doug Wead. Mitten in einem Gottesdienst, der sechs Stunden dauerte, hielt Jones inne und verkündete, er sehe bewaffnete Männer, die sich in einem blauen Mercury ihrem Tempel näherten. Er beruhigte die verängstigte Gemeinde mit dem Hinweis, dass die eigenen Sicherheitsleute auf der Hut seien.
    Im Zustand der Trance kommentierte Jones die Auseinandersetzung auf dem Zentrumsgelände »simultan«. »Werft euch auf den Boden«, befahl Jones. Es fielen Schüsse, eine Scheibe des Tempels ging in Brüche. Nach einem längeren Schusswechsel stürmte der Sicherheitschef der Sekte mit dem Gewehr unter dem Arm in den Gottesraum und berichtete aufgeregt, sie hätten die Angreifer zurückgeschlagen, die soeben mit einem blauen Mercury geflüchtet seien. Die bühnenreife Inszenierung ließ die verblüfften Anhänger vor Ehrfurcht erstarren.
    Hätten die Behörden die alarmierenden Berichte der Aussteiger ernst genommen, wäre das Drama der Volkstempler möglicherweise zu verhindern gewesen. Bereits fünf Jahre vor der kollektiven Tragödie begann Jones nämlich, seine Anhänger mit Selbstmordübungen auf den Tag X zu konditionieren. Der Sektenführer bereitete sie mit gezielten Aktionen darauf vor, ihm notfalls bis zum Äußersten zu folgen. Den Vorwand für die grausamen Gehorsamkeitsübungen lieferten ihm abtrünnige Sektenmitglieder, die Jones mit ihrem Austritt zutiefst kränkten. Die Aussteiger würden die Behörden gegen ihre Kirche aufhetzen, erklärte der Sektenführer.
    Wie Kerns und Wead berichten, gab Jones beispielsweise seinen Jüngern Wein zu trinken und eröffnete ihnen danach, sie hätten soeben tödliches Gift geschluckt. Die meisten durchschauten das Ritual zwar bald als Prüfung, mit der Jones ihre Treue und Ergebenheit testen wollte. Sie realisierten aber nicht, dass sie damit den letzten Rest an geistiger Autonomie preisgaben und die intimste Entscheidungsfreiheit verloren: Die Selbstbestimmung über das eigene Leben. Damit lieferten sie sich dem Sektenführer endgültig aus.
    Nachdem Jones 1977 mit mehr als 1000 Gläubigen von Kalifornien ins »gelobte Land« nach Guayana geflüchtet war, beschleunigte sich sein psychischer Zerfall weiter. Verfolgungsängste überschatteten sein Bewusstsein und bewirkten einen Realitätsverlust und Wahrnehmungsverschiebungen. In seinem
Wahn schweißte er seine Anhänger in der Isolation zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Immer häufiger fragte er die Anhänger in seinen Predigten, ob sie bereit seien, für ihn zu sterben. Und Jones führte in immer

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