Im Bann des Mondes
Bonbons in den Mund zu nehmen und auf der Zunge schmelzen zu lassen, während sie in dem süßen, aber auch salzigen Geschmack schwelgte. Ein Kribbeln durchfuhr ihren Körper. Sie wollte die Zunge in Northrups salzig-süßen Mund schieben und sich wieder von seinem Geschmack gefangen nehmen lassen.
Northrups Kragen saß etwas schief – der einzige Hinweis auf das, was zwischen ihnen vorgefallen war, und ihr Blick glitt über das kleine Stückchen Haut, das dadurch unter seinem Kinn sichtbar war. Diese Stelle am Hals war ein so zarter Bereich bei einem Mann. Ob wohl seine Haut auch nach Karamell schmeckte? Sie musste schlucken, weil sie sich vorstellen konnte, dass es so sein würde. Seine Haut würde nach Karamell und Salz schmecken. Himmel, sie wollte ihre Lippen auf diese Stelle legen und daran saugen. Heißes Verlangen strömte durch ihren Körper, sodass ihre Brust schwer wurde und ihre Schenkel schmerzten.
Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und dachte an harmlose Dinge wie neue Hüte, weiche Ziegenlederhandschuhe und, nein, nicht Karamell, aber vielleicht diesen neuen gestreiften Sonnenschirm, den sie unbedingt haben wollte. Doch Northrup zog ihren Blick immer wieder wie ein Magnet an.
Das dunkle Haar wallte schimmernd unter seinem Zylinder hervor und umspielte seine Schultern. Im Schein der Kutschlaterne wirkte es goldbraun. Er hatte gesagt, er würde es wegen eines Trauerfalls wachsen lassen.
»War es dein Vater, an den du vorhin auf der Straße gedacht hast?« Ihre Stimme klang belegt und unsicher, was sie genauso überraschte wie die Frage, die ihr herausgerutscht war.
Northrups Schultern zuckten gerade so leicht, um erkennen zu lassen, dass auch ihn ihre Frage überraschte. Als hätte er vergessen, dass sie überhaupt da war, dachte sie ärgerlich. Mit der Antwort ließ er sich einen Moment lang Zeit. »Nein. Da nicht.« Seine Stimme klang belegt. Seine Mundwinkel verzogen sich nach unten, während er finster etwas anstarrte, das nur er sehen konnte.
Northrup setzte sich aufrechter hin, als er in die lange Auffahrt von Holly Lodge einbog. Ein Anwesen, das der allseits geschätzten Baroness Burdett-Coutts gehörte. »Mein Vater war meistens ein Mistkerl. Aber ich vermisse ihn trotzdem.« In seinen Augenwinkeln bildeten sich zarte Fältchen. »Manchmal.«
Sie dachte an ihren Vater. Northrups Worte hätten auch als Beschreibung ihrer Gefühle gepasst. »Und deine Mutter?«, fragte sie. »Hast du sie auch verloren?« Sie hätte nicht fragen sollen. Es schien grausam, vor allem wenn man seine wehmütige Miene sah, doch sie hatte bei ihrer Frage an ihre eigenen schmerzlichen Verluste denken müssen.
»Sie ist schon seit neunzig Jahren tot«, erklärte er ruhig.
Falls er ihr entsetztes Keuchen bemerkt hatte, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Gütiger Himmel, wie fühlte es sich wohl an, so lange zu leben? Daisy spürte plötzlich ihre eigene Sterblichkeit, als hätte der Tod die Hand ausgestreckt und ihr auf die Schulter geklopft. Voller Entsetzen wurde ihr klar, dass sie eines fernen Tages vielleicht wieder auf diesen Mann traf und feststellen würde, dass er sich nicht verändert hatte, während sie alt und grau wäre.
»Weißt du … sie war ein Mensch.« Northrup rutschte unruhig hin und her, doch seine Hände hielten die Zügel weiterhin ganz locker. »Nenn es den Versuch von Mutter Natur, Anomalien auszumerzen, oder bezeichne es einfach als Glücksfall, denn weibliche Lykaner sind etwas ganz Seltenes. Es wird vielleicht alle hundert Jahre eine geboren. Eigentlich kommt es überhaupt ganz selten vor, dass wir eine Frau schwängern.« Seine Lippen verzogen sich ganz leicht, doch in seinen Augen lag ein schmerzhafter Anflug von Hoffnungslosigkeit, als sein Blick sich nach innen richtete. »So selten, dass ein Lykaner viele Ehefrauen überlebt, ohne dass je …«
Er hielt plötzlich die Luft an, und sein Gesicht wurde aschfahl. Daisy wollte nach seiner Hand greifen, doch Northrup hob den Arm, als er die Pferde um eine scharfe Kurve lenkte. Gleich darauf entspannte sich seine Miene wieder, und er fand zu seiner üblichen spöttischen Art zurück. »Sagen wir einfach, dass Lykaner nicht viele Bastarde in die Welt setzen.« Die Kutsche hielt vor dem Haupteingang von Holly Lodge, und Northrup neigte den Kopf. »Wir sind da.«
Die Luft war feucht und kalt, sodass sich Tropfen im Fell des Wolfs bildeten. Nebel trübte seinen Blick und irritierte ihn. Er verließ sich auf den Geruch, um
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