Im Bann des Mondes
zu ihr zu gelangen. Zu der Frau. Klebrig süß und satt. Blütenstaub und Blumen, der Geruch einer Menschenfrau gemischt mit Frühling. Er bewegte sich schnell, wand sich an Haufen von Unrat vorbei, deren Gestank sich auf seine Nase legte und drohte, ihren Geruch zu überlagern.
Aber die Frau war doch tot. Oder etwa nicht? Nein. Nein. Nein. Panik erfasste ihn, und der Wolf kauerte sich hin. Er knurrte. Nein, das war sie. Ihr Geruch. Er konnte ihn auf der Zunge spüren. Er wollte sie in seinem Mund schmecken.
Über dem wabernden Nebel strahlte der Mond voll und hell, sodass Kraft in den Wolf strömte und seine Knochen summten. Näher. Sie war jetzt näher. Sein Fell richtete sich auf. Sie war mit einem Mann zusammen. Er konnte ihn riechen. Mann vermischt mit Wolf. Ein Lykaner. Die Stimme des Mannes in ihm schrie vor Wut, und er knurrte zustimmend. Der Lykaner durfte sie nicht haben.
13
Obwohl sie keine Einladung hatten, versuchte keiner Daisy und Northrup davon abzuhalten, sich zur Feier der Baroness zu gesellen. Vielmehr bedachten viele Northrup mit einem zurückhaltenden Lächeln oder nickten ihm zu. Das hätte Daisy eigentlich nicht überraschen sollen. Schließlich war er immer noch ein Marquis. Nur dass der Mann, den sie kennengelernt hatte, kein hochmütiger Adliger war, der sie wie Luft behandelte, sondern ein respektloses und verspieltes Wesen besaß. Er war einfach Northrup.
Sie kamen zu der Terrasse, über die man auf die ausgedehnte Rasenfläche gelangte. Daisy blieb stehen. Hunderte von weißen Papierlaternen hingen in den Bäumen und verbreiteten ihr sanftes, flüchtiges Licht. Damen in prächtigem Satin flatterten wie Schmetterlinge umher und lachten vornehm leise, aber nie aus vollem Herzen.
Daisy erstarrte. Warum hatte sie nicht vorher daran gedacht? Diesen Leuten ausgerechnet vor Northrup wieder gegenüberzutreten war zu viel. Northrup ging bereits die Treppe hinunter, blieb aber abrupt stehen, als sie ihm nicht folgte. Schweigend musterte er sie. Seine Miene gab nichts von dem preis, was er dachte. Das wusste Daisy sehr zu schätzen, denn sie nahm an, dass er Mitleid mit ihr empfand. Sie wusste, dass man ihr die Beklommenheit ansah. Verärgerung stieg in ihr auf. Spitze Bemerkungen mochten sie vielleicht treffen, doch sie würde innerlich bluten. Nie mehr sollten diese Leute die Wunden sehen, die sie ihr zufügten.
Daisy setzte sich wieder in Bewegung und trat neben Northrup. Sein warmer Atem streifte sie, als er sich zu ihr neigte. »Gut. Hab keine Angst vor ihrer Gehässigkeit.« Sanft berührte er sie am Oberarm. »Ich habe ganze Generationen von der Wiege bis ins Grab gehen sehen. Nie haben die Worte überlebt.«
Sie wusste, dass er versuchte, sie zu trösten, und trotzdem versetzte ihr sein Anblick, so jung und stark, einen Stich. Wie konnte sie sich über Nichtigkeiten ärgern, während er allein und unverändert die Zeit an sich vorbeiströmen sah? Daisy legte die Hand auf seinen Unterarm und drückte ihn leicht.
Er bedeckte ihre Hand mit seiner und führte Daisy durch die Menge, die sich auf dem Rasen verteilte. »Wenn ich mich recht erinnere«, raunte er ihr ins Ohr, sodass ihr ein unerwünschter Schauer über den Rücken lief, »ist Randal ein junger Mann von ungefähr zweiundzwanzig, mit lockigem Haar und von peinlich cherubimhaftem Aussehen.«
Daisys Lippen fingen an zu zucken, und sie fragte sich, wie es irgendjemand schaffen konnte, in Northrups Gesellschaft schlecht gelaunt zu bleiben. »Peinlich? Also wirklich, Northrup, ich weiß nicht, was an einem Cherubim peinlich sein soll.«
Er machte ein finsteres Gesicht. »Das sind Baby-Engel, um Himmels Willen.«
Als würde das alles erklären. Aber es spielte keine Rolle. Mit Northrup zu scherzen fühlte sich irgendwie richtig an. Das Gefühl erinnerte sie an den Moment, wenn sie abends ihr Korsett ablegte und endlich wieder frei atmen konnte. Trotzdem mischte sich auch Unbehagen darunter. Männer waren ein Quell der Erheiterung oder des Schmerzes … man fühlte sich nicht einfach wohl in ihrer Gegenwart.
»Das Wetter schlägt um«, sagte Northrup, während sie den Blick über die Menge schweifen ließen. Tatsächlich begann sich bereits dichter Nebel auszubreiten, als wäre er aus London vertrieben worden, um den ländlichen Frieden von Highgate zu stören. Mit dem Nebel kam auch die Kälte, die einem bis in die Knochen kroch, sodass man innerlich zu zittern meinte. »Vielleicht sind sie in das Zelt da hinten
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